Rassismus in der heutigen GesellschaftWarum wir über Rassismus reden (müssen)

Rassismus ist ein krasses Wort. Der Begriff erinnert an die NS-Zeit und ist eindeutig negativ konnotiert. An ihm haftet die Vergangenheit, welche (wenn auch nicht ganz überwunden) zumindest an einen sogenannten rechten Rand der Gesellschaft verbannt zu sein scheint

Wir möchten keine Rassistinnen und Rassisten sein. Der Haken an der Sache ist jedoch: Rassismus existiert, auch wenn wir es nicht wollen. Und: Rassismus ist wirkmächtig; er grenzt Menschen aus, verletzt und tötet. Deshalb müssen wir uns mit Rassismus auseinandersetzen. Hierzu ist es vor allem notwendig, diesen zu erkennen – nicht zuletzt im Alltag.

Nach Philomena Essed ist Rassismus „eine Ideologie, eine Struktur und ein Prozess, mittels derer bestimmte Gruppierungen auf der Grundlage tatsächlicher oder zugeschriebener biologischer oder kultureller Eigenschaften als wesensmäßig anders geartete und minderwertige ‚Rassen‘ oder ethnische Gruppen angesehen werden.“1 Dabei kommt es hinsichtlich der Frage, ob eine Äußerung oder eine Handlung rassistisch ist, weder auf die Intention noch auf die Absicht an, sondern allein auf die Wirkung beziehungsweise auf den Gehalt. Egal, ob eine Schwarze2Person bewusst aufgrund der Hautfarbe nicht zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen wurde, eine schlechtere Note bekommen hat oder ungerecht während einer polizeiliche Maßnahme behandelt wurde – das Ergebnis ist dasselbe, auch wenn dies unbewusst beziehungsweise unabsichtlich passiert. Ausgrenzung und Andersmachung (Othering) sowie ein schlechterer Zugang zu materiellen Ressourcen sind drei der häufigsten Folgen.

Die Annahme, dass etwas nicht rassistisch sein kann, wenn es nicht rassistisch intendiert ist, impliziert, dass Rassismus ein Akt der Entscheidung ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass man sich dafür entscheiden kann, nicht rassistisch zu sein. Labels wie „Schule ohne Rassismus“ oder auch der Slogan „Kein Veedel3 für Rassismus“, der sich gerade aktueller Beliebtheit in Köln erfreut und auf einem Banner viele Hausfassaden ziert, folgen dieser Logik.4 Sich gegen Rassismus „zu entscheiden“ oder diesen abzulehnen, führt jedoch nicht automatisch zur Entstehung rassismusfreier Räume. Das Verständnis von „Rassismusfreiheit als Entscheidung“ und die Verortung des Problems in rechtsextremen Milieus verhindern vielmehr die Sichtbarmachung von (nicht bewusstem) Rassismus. Dabei zeigen Forschungen, dass rassistische, antisemitische und andere menschenverachtende Einstellungen fest in der sogenannten Mitte der Gesellschaft verankert sind.5 Für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Rassismus muss das Begriffsverständnis aus der „rechten Ecke“ geholt und anerkannt werden, dass Verhaltensweisen und Strukturen rassistisch sind, auch wenn niemand dies so intendiert hat.

Vor diesem Hintergrund werden wir in den kommenden Wochen eine kleine Reihe zum Thema Rassismus veröffentlichen. Es wird unter anderem um die Entstehung von Rassismus sowie um vergangenen und gegenwärtigen Rassismus in Deutschland gehen. Unser Ziel ist es nicht, Scham und Schuldgefühle auszulösen. Vielmehr möchten wir den Blick für die gegenwärtige Wirkmächtigkeit von Rassismus schärfen und dazu ermuntern, selbstkritisch eigene, insbesondere unbewusste, Denkmuster zu entdecken und zu hinterfragen.

Wenn Sie sich weiter mit der beschriebenen Thematik auseinandersetzen möchten, empfehlen wir Ihnen die beiden Bücher „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ und „Exit RACISM“ sowie einen Fernsehbeitrag der Sendung ttt - titel thesen tempramente.

 

Essed, P. (1992): Multikulturalismus und kultureller Rassismus in den Niederlanden. In: Institut für Migrations- und Rassismusforschung (Hrsg.): Rassismus und Migration in Europa. Hamburg: Argument Verlag GmbH, S. 373-387.

2 Das Wort „schwarz“ wird hier groß geschrieben, um kenntlich zu machen, dass es sich nicht um eine farbliche, sondern um eine politische Bezeichnung handelt; siehe dazu auch Ogette, T. (2020): Exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen. Münster: Unrast Verlag.

3 Kölscher Begriff für „Stadtteil“.

4 Ebenso kann der Name der Initiative „Weltoffene Hochschule gegen Fremdenfeindlichkeit“ durchaus auch problematisch erscheinen.

5 Siehe unter anderem Zick, A., Küpper, B. & Berghan, W. (Hrsg.) (2019): Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Bonn: Dietz.