Weltoffene Lehre in der PraxisInterne Weiterbildung

Aufnahme eines Hörsaals in einer Hochschule.
Die Fortbildung befasste sich unter anderem mit Diskriminierungen im Lehrkontext

2023 fand die erste interne Weiterbildung im Zeichen des Netzwerks „Weltoffene Hochschulen“ an der HSPV NRW statt

Seit 2020 ist unsere Hochschule Teil des Netzwerks „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“. Die Initiative geht von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) aus. Die Mitgliederhochschulen verpflichten sich dem Verständnis von Hochschulen als „weltoffenen Orten“:
 

„Die Hochschulen wollen zusammen für demokratische Werte und aufgeklärte, tolerante Gesellschaften eintreten und dies durch die Aktion unter einem gemeinsamen Logo deutlich machen.“ (ebd.)


Doch ein Logo allein reicht nicht aus, um demokratische Werte zu leben. Hier adressiert ist die Hochschule als Organisation und damit eingeschlossen sind Themen des gemeinsamen Umgangs im Alltag sowie die Frage was es eigentlich bedeutet „weltoffen“ zu lehren. Diese Frage betrifft nicht einzelne Fächer wie Ethik, Politikwissenschaft oder Staatsrecht, sondern meint den grundlegenden Umgang miteinander in Lehr-Lern-Situationen, das Verständnis von Lehrenden und Lernenden sowie Lehrinhalte gleichermaßen.

Diese grundlegenden Fragen zum Verständnis wurden in dem ersten Weiterbildungsangebot bearbeitet. Lehrinhalte der Weiterbildung waren:

  • Das Verständnis von „Diversity Management“ in der Lehre
  • Formen von Diskriminierung und Umgangsweisen im Lehrkontext
  • Gestaltungsformen von diskriminierungsfreier Lehre

Die konkreten Lernziele bestanden darin, den Hintergrund von „Diversity Management“ in der Lehre zu kennen und die Bedeutung für die eigene Lehrpraxis zu reflektieren, das eigene Verständnis von Diskriminierung zu schärfen, die eigene Rolle als Lehrperson in einem diversen Lehr- und Lernkontext zu reflektieren, mögliche Konfliktsituationen im Sozialraum „Lehre“ zu verstehen und verschiedene Möglichkeiten zu kennen, auf Situationen zu reagieren, die zu struktureller Diskriminierung beitragen.

Für ein organisationales Verständnis und einen Erfahrungsaustausch hat Dr. Ute Zimmermann von der TU Dortmund einen Vortrag zum Thema „Diversity Management an Deutschen Hochschulen“ gehalten. Frau Zimmermann ist Leiterin der Stabsstelle Chancengleichheit, Familie und Vielfalt an der TU Dortmund. Zudem ist sie Mitglied des Auditing-Teams des Deutschen Stifterverbands „Vielfalt gestalten“. Durch ihren Vortrag und die Diskussion wurde deutlich, dass es einerseits keinen „Königsweg“ hin zu einer vielfältigen Hochschule gibt, sondern die individuellen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen zu berücksichtigen sind. Andererseits sind die organisationsspezifischen Dimensionen im Wandlungsprozess hin zu einer vielfältigen Hochschule grundlegender als vielleicht gedacht: Es bedarf einer übergeordneten Strategie und Struktur. Diese umfasst nicht nur die Bereiche Studium und Lehre, Service und Beratung, sondern gleichermaßen Personalmanagement, interne und externe Kommunikation sowie Partizipation und Liegenschaften. Dabei ist zu berücksichtigen, dass „Diversity Management“ im Spannungsfeld von zwei grundlegenden Motiven mit teils antagonistischen Logiken stattfindet (vgl. Tabelle).
 

Übersicht
Gerehtigkeit und AntidiskriminierungÖkonomie und Globalisierung

Menschenrechte, Frauenrechte, Bürgerrechte, Behindertenrechte, Antidiskriminierung, Rassismuskritik, Bildungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit

Potenziale nutzen, Wertschöpfung, Human Resources, weltweiter Wettbewerb, Fachkräftemangel


Diese Antagonismen in einen konstruktiven Prozess zu überführen, bedeutet laut Zimmermann kontinuierliche Aushandlungsprozesse zu führen, die als inklusive und partizipative Verfahren gestaltet werden. Auch bedeutet es Vielfalt als Normalität zu verstehen.

Wie dieser organisationale Rahmen in dem Sozialraum „Lehre“ angewendet werden kann, hat Dr. Anna Welpinghus mit den Teilnehmenden in zwei Workshopeinheiten erarbeitet. Frau Welpinghus ist Philosophin und Beraterin zum Umgang mit struktureller Ungerechtigkeit in der Hochschullehre. Als zertifizierte Organisationsberaterin bearbeitet sie den Schwerpunkt „Umgang mit struktureller Diskriminierung an Hochschulen“. In einer ersten Workshopphase ging es um „Stereotype in der Lehre“ aus der eigenen Lehrendenperspektive und um die Frage wie mit diesen reflektiert umgegangen werden kann. Hierbei wurde auch die „Checkliste zur gender- und diversitätsbewussten Didaktik“ nach Melanie Ebenfeld vermittelt.1 Es wurde deutlich, dass es nicht nur um Inhalte und Methoden oder um die Lehrenden- und Lernendenperspektive geht, sondern auch um Rahmenbedingungen der Lehre.

In einer zweiten Workshopphase ging es um die Frage, wie Lehrende „gute Verbündete“ für Studierende in Diskriminierungssituationen sein können und welchen Wert eine „inklusive Sprache“2 als Instrument guter Lehre hat.
 

„Eine inklusive Kommunikation soll die Gleichberechtigung aller Geschlechter fördern und diese in der gesprochenen und schriftlichen Sprache zeigen. Es handelt sich aber auch um eine nichtdiskriminierende Sprache, die antirassistisch und inklusiv gegenüber Menschen mit Behinderungen ist und die Altersdiskriminierung (ageism) sowie generell Stereotypen gegenüber diversen Gruppen und Menschen zum Beispiel aufgrund ihrer Religion oder ihrer Lebensweise vermeidet.“ (Amnesty International Schweiz 2021, S. 2)


Ziel einer weltoffenen Lehre wäre also den Sozialraum „Lehre“ so zu gestalten, dass eine inklusive Kommunikation möglich ist. Die Lehrperson hat hier eine entscheidende gestalterische Funktion, indem sie als „role model“ fungiert und in exklusiven Situationen konstruktiv aktiv wird. Hierbei ist Voraussetzung, dass eine eigene Haltung entwickelt wird, beispielsweise durch Selbstreflektion (Wie handle und spreche ich? Wie ist mein Auftreten?), aktives Hinschauen, angemessenes Handeln (Stirnrunzeln oder Ansprechen?) und einen konstruktiven Umgang mit Fehlern. Generell ist aber inklusive Kommunikation und Lehre eine Gemeinschaftsaufgabe, die Studierende mit einbezieht.

Aus den Erkenntnissen der Workshopeinheiten und des Vortrags, wurden abschließend die Perspektiven der Hochschule sowie der Studierenden und Lehrenden separat mit der Frage nach den Bedarfen betrachtet: Was braucht es um die Hochschule/Studierende/Lehrende zu stärken? Lehrende brauchen einerseits Wissen über Inhalte und Zusammenhänge zu weltoffener Lehre und einem inklusiven Lehr-Klima. Hierbei helfen könnten Richtlinien oder eine „Netiquette“. Auch braucht es Austausch und kollegiale Beratung, um in exklusiven Situationen handlungsfähig zu sein und die eigene Wahrnehmung reflektieren zu können. Studierende brauchen Raum, um sich im Kurs als Team zu finden sowie die Möglichkeit für sich zu definieren, was weltoffene Lehre überhaupt bedeutet. Hochschule hat zum einen die Aufgabe Rahmenbedingungen für eine weltoffene Lehre zu gewährleisten. Sie braucht aber auch ein Verfahren, wie angemessen in Situationen der Exklusion reagiert wird. Hierbei wichtig ist eine zentrale Ansprechperson oder -stelle sowie das Instrument der Fallbesprechung unter Beteiligung der verschiedenen Beauftragten (Gleichstellung, Personalrat, Schwerbehindertenvertretung, Extremismusbeauftragte/r, Beauftragte/r für Menschenrechtsbildung, Studierendenvertretung).

An der Weiterbildung haben Personen aus Lehre und Verwaltung teilgenommen, die im Haupt- oder Nebenamt tätig sind. Hierunter waren neben Professor/innen und Dozent/innen auch Praktiker/innen aus der Landesverwaltung und der Polizei, die Fächer wie Eingriffsrecht, Kriminologie, Berufsrollenreflexion, Staatsrecht, Soziologie, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften oder Ethik vertraten. Es wurde schnell deutlich, dass es hier keine Trennlinie zwischen den Fächern und/oder beruflichen Hintergründen gibt. Auch die Diskussionen zu dem Vortrag und den Workshopeinheiten sowie der abschließende Austausch zu den Bedarfen machten deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Verständnis und den Bedingungen „weltoffener Lehre“ Potenzial hat, den Aspekt „weltoffene Hochschule“ aus der Perspektive des Kerngeschäfts „Lehre“ heraus noch einmal neu zu betrachten. Das hier beschriebene erste Angebot für die interne Weiterbildung hat große Themen aufgemacht und erste Ergebnisse skizziert. Diese können in weiterführenden Angeboten sicherlich vertieft werden.

1 Vgl. Melanie Ebenfeld: Checkliste zur gender- und diversitätsbewussten Didaktik, https://www.genderdiversitylehre.fu-berlin.de/_content/pdf/methodenblatt_checkliste.pdf (letzter Aufruf am 04.01.2024).

2 Vgl. Amnesty International Schweiz: Inklusive Sprache, https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/inklusive-sprache/inklusive-sprache-uebersicht/leitfaden-inklusive-sprache-de.pdf (letzter Aufruf am 04.01.2024).