Polizei und DiversitätEinfalt oder Vielfalt?

Nahaufnahme einer Polizeisirene.
Im Mittelpunkt des Beitrags steht das Verhältnis von Polizei und Diversität

Prof. Dr. mult. Mario Staller, HSPV NRW, Abteilung Köln, und Swen Körner, Deutsche Sporthochschule Köln, legen im nachfolgenden Denkanstoß eine systemtheoretische Perspektive auf das Verhältnis von Polizei und Diversität an

Die breite gesellschaftspolitische und normative Erwartung, die Verschiedenheit von Menschen bedingungslos anzuerkennen, geht an der Polizei aktuell nicht spurlos vorbei. Als System in der Umwelt sozialer Systeme nimmt die Polizei zur Kenntnis, dass ihr Umgang mit Diversität zum Thema gemacht wird. Wissenschaftliche Daten und Medienberichte weisen darauf hin, dass der externe und interne polizeiliche Umgang mit Vielfalt zumindest in Teilen noch nicht so ist, wie er sein sollte. Zu den besonderen Schlaglichtern zählen hier unter anderem die ethnische und religiöse Verzerrung innerhalb polizeilicher Verdachtskonstruktionen, ein geringer Anteil nicht-herkunftsdeutscher Polizistinnen und Polizisten in den eigenen Reihen, eine Unterrepräsentation des weiblichen Geschlechts, ein toxisch genannter Männlichkeitskult sowie die fehlende Anerkennung queerer Personen.

Der durch den Diversity-Diskurs breitgestellte Fokus auf die soziale Rolle diverser „Mensch-Merkmale“ und Zuschreibungen macht eine Betroffenheit deutlich. Die Polizei scheint, wie andere soziale Systeme auch, in ihren Strukturen und Prozessen mitunter noch stark von Merkmalen geleitet zu sein, die am Menschen ansetzen und dabei jeweils einen bestimmten Wert übervorteilen: Männer, und eher nicht Frauen (und Drittes), deutsche Herkunft, und eher nicht eine andere Herkunft, christlicher, und eher nicht muslimischer Glaube, helle Hautfarbe und eher nicht dunkle.

Es liegt in der Logik von Unterscheidungen, dass die eine Seite nur zu haben ist durch die andere – so wie es „links“ nur „gibt“, weil es „rechts gibt“. Wer das eine sagt, schleift das andere immer schon mit. Der entscheidende Unterschied besteht zum einen darin, welche Seite den Vorzugswert markiert, zum anderen, ob die Einheit der Unterscheidung den Vorzugswert bildet, und zum dritten, ob die Einheit der Unterscheidung eben nicht den Vorzugswert bildet. So kann man „Männer“ bevorzugen, oder auch „Frauen“. Man kann aber auch Geschlecht als Einheit der Differenz bezeichnen und beispielsweise von „beruflichen Anforderungen“ unterscheiden – und letztere bewusst unabhängig vom Geschlecht.

Systemtheoretisch ist Diversität die Einheit der Differenz von Vielfalt und Einfalt, von Verschiedenheit und Einheit. Angesichts der prallen Fülle sich bietender Möglichkeiten, scheint die Polizei im Rahmen dieser Unterscheidung an zentralen Stellen noch recht einfältig strukturiert zu sein. Der erste und aktuell zu beobachtende Schritt besteht darin, an genau diesen Stellen von Einfalt auf Vielfalt umzustellen und Diversität anzuerkennen. Zu beachten ist allerdings, dass sich die Polizei damit in ihren Strukturen und Prozessen immer noch von „Mensch-Merkmalen“ leiten lässt – nun eben von Vielfalt als Vorzugswert. Das ist politisch korrekt, allerdings ist die nicht unerhebliche Frage, ob und inwiefern Kategorien der Diversität wichtig für polizeiliche Leistungsvollzüge sind, damit noch nicht zufriedenstellend beantwortet. Dass Frauen besser zuhören und reden oder Männer besser führen und kämpfen, ist naiv und kein wirklich gutes Argument für Anerkennung und gesteigerte Repräsentanz von Diversität im System der Polizei. Die Kritik am Ansatz des Diversity-Managements setzt genau daran an. In ihrer abstrahierten Fassung besagt sie, dass Systeme Diversity einbauen, um damit die bestehende Handlungslogik nicht nur zu reproduzieren, sondern zu steigern. Mehr Diversity, so die Management-Idee, macht Wirtschaftsunternehmen noch profitabler.

Exakt an der Stelle, wo innerhalb der Polizei Diversity-Merkmale auf Fähigkeitskonzepte und berufliche Anforderungen bezogen werden und Einstellungs- und Einsatzentscheidungen begründen, feiert die Logik der Einfalt ihre Wiederkehr und erzeugt ein „mehr desselben“. Jetzt nur anders, nämlich unter der bunten Flagge der Vielfalt. Anstatt im Gewande von Diversity bestehende Strukturen und Logiken zu wiederholen und damit letztlich diverse Menschen daran anzupassen und für die Darstellung von Diversity zu nutzen – Stichwort: Tokenism – wären diese Formen selbst zur Disposition zu stellen, um dann zu sehen, an welchen Stellen Diversität für die Polizei eine systemfunktionale Rolle spielt.

Die bisherigen Vorzugswerte im Bereich von Humankategorien existieren nicht grundlos. Sie erfüllen für die Polizei eine Funktion, die nicht ersatzlos wegfallen kann. Die deutsche Polizei ist die gesellschaftliche Institution zur Gewaltkontrolle. Der staatliche Auftrag wird polizeiintern von einem Gefahren- und Gewaltnarrativ dominiert. Von daher rührt die Vorstellung, dass wenn es zur Sache geht, gewaltfähige, echte Männer mit dicken Knarren gefragt sind. Was wir hier überspitzen, zeigt sich tatsächlich auf vielen Ebenen polizeilicher Strukturen und Semantiken. In dieser Betonung von Gewalt und Gefahr liegt einer der zentralen Gründe, warum die Polizei so wenig auf diverse Menschen setzt. Gewalt, Gefahr und Mann werden dabei in einem stimmigen Zusammenhang assoziiert. Einfalt in der Sachdimension (Worum geht´s? Gewalt!) führt zur Einfalt in der Sozialdimension (Wer macht´s? Männer!) – und umgekehrt.

Die Situation entspricht einem Antriebsmechanismus ohne Bremsvorrichtung: So wie der Heuschreckenflug einen geschlossenen Kreislauf bildet, in dem die Flügelhärchen der Heuschrecke auf Luftbewegung reagieren, die Luft einen Flügelschlag erzeugt, der wiederum Luft erzeugt und so fort, so stabilisiert sich die Einfalt im System der Polizei, in dem Gewaltfragen an Männer adressiert werden, die dann von Gewalt und notwendiger Gewaltkompetenz berichten, die Gewaltfragen schließlich wieder an Männer adressiert und so weiter. Empirisch richtig ist, dass als Männer bezeichnete Menschen – auch bei der Polizei – häufiger zu Aggression und Gewalt neigen. Richtig ist aber auch, dass gerade die Polizei als Institution zur Gewaltkontrolle von diesem Zusammenhang nicht ausnahmslos profitiert.
 

Der Textauszug – hier ohne Quellen und etwas verkürzt – entstammt dem Beitrag „Zwischen Einfalt und Vielfalt: Systemtheoretische Überlegen zu Diversität im System der Polizei“ von Swen Koerner und Prof. Dr. mult. Mario Staller. Beide Autoren fungieren als Herausgeber des Springer Buches „Diversität und Polizei: Perspektiven auf eine Polizei der Vielfalt – konkrete Handlungsoptionen und neue Reflexionsmöglichkeiten“, welches im Frühjahr 2024 erscheint.