Soziologie praktischArmut und soziale Ungleichheit

Eine Gruppe Menschen steht im Kreis beisammen und hört einem Redner zu.
Stadtführung durch Dortmund

Studierende des Kommunalen Verwaltungsdienstes im Gespräch mit ZEIT-Redakteurin Anna Mayr und unterwegs mit „bodo e.V.“

Soziale Ungleichheit: Was ist das und warum betrifft mich das in meiner späteren Arbeit als kommunale Verwaltungsbeamtin beziehungsweise als kommunaler Verwaltungsbeamter? Diese Frage stand am Anfang einer Themenwoche für die 18 Studierenden des Kurses DO K23/04 im Fach Soziologie. Die Anwärterinnen und Anwärter verschiedener Einstellungskommunen aus dem Kreis Unna diskutierten zunächst theoretisch die Facetten von Sozialstruktur und sozialer Ungleichheit, um sich dann dem gesellschaftlichen Phänomen der Armut zu widmen.

Foto von ZEIT-Redakteurin Anna Mayr.
ZEIT-Redakteurin Anna Mayr

Zum Auftakt des praktischen Teils der Unterrichtsreihe konnte auf Einladung von Dozent Christoph Koerdt ZEIT-Redakteurin und Bestsellerautorin Anna Mayr gewonnen werden. Die 30-jährige Journalistin und Schriftstellerin stammt selbst aus dem Ruhrgebiet und verfasste mit ihren Büchern „Die Elenden“ und „Geld spielt keine Rolle“ viel beachtete Werke zur Wahrnehmung von Armut und Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft.

Nach einer kurzen Vorstellung und einer Einleitung zu ihren Ansätzen, folgte eine intensive und teils kontroverse Diskussion mit den Studierenden, welche sozioökonomischen Konsequenzen Arbeitslosigkeit für die Betroffenen hat. Stigmatisierung, Abgrenzung und Klassismus seien von der übrigen Gesellschaft teils gewollt, so eine ihrer Thesen. Das Selbstverständnis unserer Gesellschaft sei auf Arbeit fokussiert, umso ausschließender sei ihr Blick auf Arbeitslose. Die 90-minütige Debatte mit den Studierenden zeigte dabei die durchaus ambivalente mediale und politische Dimension des Themas, aber auch jeweils persönliche Perspektiven auf das soziale Phänomen von Armut.

Um die Unterschiede zwischen absoluter und relativer Armut, aber auch die Exklusion von Randgruppen zu veranschaulichen und für die spätere berufliche Erfahrungswelt in der Stadtverwaltung begreifbar zu machen, konnte Dozent Christoph Koerdt zum wiederholten Male die Dortmunder Sozial- und Wohnungsloseninitiative „bodo e.V.“ für eine soziale Stadtführung gewinnen. Neben dem in Dortmund und Bochum bekannten, von Obdachlosen in Eigenregie mitproduzierten und verteilten Straßenmagazin, kümmert sich bodo als Lobbyverein um die Rechte von sozial Hilfebedürftigen, indem er „Chancen schafft“ sowie Nothilfe und eben auch Stadtführungen der anderen Art anbietet.

Die Studierenden folgten Dennis auf dem Weg durch die Dortmunder Nordstadt. Dennis ist selbst vor einigen Jahren obdachlos gewesen und nun als Stadtführer für bodo aktiv, indem er von seinen Erfahrungen erzählt und lokale Hilfsangebote vorstellt. Der Weg führte vom Nordmarkt-Kiosk der Diakonie zunächst zur Suppenküche Kana. Hier bekommen täglich bis zu 300 bedürftige Menschen eine warme Mahlzeit, frisch gekocht und serviert von Ehrenamtlichen. Die dritte angelaufene Einrichtung war das Café Berta. Seit 2012 bietet diese Stelle einen geschützten Raum für Alkoholkonsum, indem sie durch aufsuchende Sozialarbeit sowie ärztliche Beratung alkoholabhängige Menschen vom nahen Nordmarkt „abholt“ und im Café betreut. Spirituosen sind hier übrigens tabu, es darf aber geraucht werden. Vierte Station war das Hygienezentrum des Paritätischen. In dem städtischen Gebäude können Wohnungslose und Menschen, die keinen Zugang zu Duschen und Sanitäranlagen haben, kostenlos duschen und sich mit frischer Kleidung und Hygieneartikeln versorgen.

Nach zwei Stunden teils nachdenklicher Eindrücke waren die Studierenden spürbar dafür sensibilisiert, was ein Leben „auf der Straße“ heißt und wie man als künftige Vertreterinnen und Vertreter der Verwaltung dieser Form von Armut in der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes begegnen kann.