Historisches Fenster - März 20144. März 1989: „Erstes Bonner Polizeigespräch“

4. März 1989: „Erstes Bonner Polizeigespräch“

Prof. Dr. Heike Wüller, Forschungsgruppe BiBeLL

„Glasnost für die Polizei“ - programmatischer konnte der Titel für das „Erste Bonner Polizeigespräch“ kaum ausfallen. Organisiert und veranstaltet von der „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen (Hamburger Signal) e.V.“ und verschiedenen Bonner Bürgerbündnissen und Bildungseinrichtungen, nämlich der „Stiftung Mitarbeit“[1], dem Gustav-Stresemann-Institut[2] und der Gustav-Heinemann-Initiative[3], trafen sich Referenten und interessierte Gäste am 4. März 1989 in der Bundeshauptstadt, um, so das selbstgesteckte Ziel der Veranstalter, „Mauern zu durchbrechen, hinter denen sich die Polizei in ihrer isolierten Position in dieser Gesellschaft befindet.“[4] Dass die Einladung ausdrücklich zum „Ersten“ Polizeigespräch ausgesprochen wurde, machte zugleich deutlich: Die Etablierung eines fortwährenden Dialogs zwischen Polizei und Bürgern war intendiert.

Seit ihrer Gründung im Januar 1987 hatten die „Kritischen Polizisten und Polizistinnen“ öffentlich für Furore gesorgt. Vor allem einer ihrer Bundessprecher war schnell zu Berühmtheit gelangt: der Werler Kripobeamte Manfred Such.[5] In seinem Buch „Bürger statt Bullen. Streitschrift für eine andere Polizei“ hatte er 1988 klare und anklagende Worte für Missstände gefunden, die er, selbst Mitglied der Organisation, in der Polizei zu erkennen glaubte. Systematisch würde Recht gebrochen, Fremdenfeindlichkeit sei weit verbreitet, Korpsgeist und Korruption seien bei Polizeibeamten an der Tagesordnung: „Dann die ‚Vorteile‘ des Polizeidienstes: Bars, Gaststätten, Geschäfte, Firmen. Wo es was umsonst gab, (...) wo man abstauben konnte. Hier war man auch polizeilich großzügiger, insbesondere im Straßenverkehr“.[6]

Suchs Streitschrift und der öffentlichkeitswirksame Zusammenschluss seiner ebenso kritischen Kolleginnen und Kollegen fiel in eine Zeit, in der die Polizei ins Gerede gekommen war. Misslungene Großeinsätze (zu denen Anti-Atomkraft-Demonstrationen ebenso gehörten wie das sogenannte Geiseldrama von Gladbeck) sowie die zum Teil offen zur Schau getragene Nähe von Teilen der Polizei zur rechtsradikalen Partei „Die Republikaner“ [7] hatten das polizeiliche Image in der Öffentlichkeit nicht unerheblich beschädigt. Die Medien entwarfen das Bild einer überforderten Ordnungsmacht, die sich mehr als einmal durch mangelnde Handlungs- und Problemlösungskompetenzen auszeichnete. Prominent unterstützt wurden sie dabei von fachkompetenten Kritikern wie etwa der „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen“, die sich im September 1989 mit einem Thesenpapier zu Aufgaben und Eingriffsbefugnissen der Polizei zu Wort meldete.[8]

Konkret waren zwei polizeiliche Großeinsätze im Juni 1986 der Auslöser für die Gründung der „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen“ gewesen: Anlässlich einer geplanten Kundgebung gegen das Atomkraftwerk Brokdorf am 7. Juni 1986 waren etwa 12.000 Demonstrationsteilnehmer, die aus Hamburg auf dem Weg an die Unterelbe waren, von einem massiven Polizeiaufgebot im schleswig-holsteinischen Kleve aufgehalten und zum Teil von den Polizeieinheiten scharf angegriffen worden. Eine gegen dieses polizeiliche Vorgehen gerichtete Demonstration am folgenden Tag auf dem Hamburger Heiligengeistfeld hatte in einem Debakel geendet: Etwa 800 Demonstrationsteilnehmer waren von den polizeilichen Einsatzkräften zum Teil über 13 Stunden eingekreist worden - ein Vorgehen, das das Hamburger Verwaltungsgericht später für rechtwidrig erklärte und das bis heute als „Hamburger Kessel“ einen unrühmlichen Platz in der bundesrepublikanischen Polizeigeschichte einnimmt. Aus dem „Hamburger Signal“, einer Vereinigung kritischer Hamburger Polizisten, die sich im Anschluss an diese Ereignisse organisiert hatten, sollte dann schon bald die „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen (Hamburger Signal) e.V.“ werden. Auf Initiative des „Grünen“-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele trafen sich am 18. Januar 1987 gleichgesinnte Polizistinnen und Polizisten aus der ganzen Bundesrepublik in Bonn, um dort die Arbeitsgemeinschaft zu gründen. Manfred Mahr aus Hamburg und Manfred Such aus Nordrhein-Westfalen wurden zu Bundessprechern gewählt.

Schnell bestand Einigkeit, dass man mehr sein wollte als eine „Selbsthilfegruppe“, nämlich eine „politische Einflußgröße“.[9] „Wer wir sind? Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen Polizeibeamte wurden. Menschen, die in Gewerkschaften arbeiten, die in Friedensbewegungen aktiv sind, Ökologen, Pazifisten, Pax-Christi-Mitglieder, Demonstranten, Greenpeace-Mitglieder, Grüne, AKW-Gegner, Amnesty-International-Mitglieder, Nicht-Bild-Leser, Junggesellen, Familienväter, Abhängige, Unabhängige, Menschen, die lachen und weinen…“[10], so stellten sich die „Kritischen“ in einem Flugblatt der Öffentlichkeit vor. Ihrem Selbstverständnis nach agierten sie fortan als „Whistleblower“[11], nach innen kritisierend, nach außen aufklärend.

Dafür ernteten sie schnell öffentliche Anerkennung: Die SPD etwa zeichnete die „Querköpfe“[12] in der Polizei am 15. Mai 1988 mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreis aus. Mit ihrer bürgerschaftlichen Initiative wirkten die „Kritischen Polizisten“ darauf hin, dass, wie es im Urkundentext hieß, „unsere Polizei mehr als bisher eine Polizei von Demokraten für Demokraten wird“.[13] Die zwischen 1989 und 1993 stattfindenden insgesamt vier „Bonner Polizeigespräche“[14] und die Herausgabe der verbandseigenen Zeitschrift UNBEQUEM, deren erste Ausgabe 1990 erschien, trugen darüber hinaus dazu bei, dass die „Kritischen“ öffentlich wahrgenommen wurden. In engem Schulterschluss mit den Bonner Bürgerbündnissen diskutierten sie bei den „Polizeigesprächen“, welche Rolle Polizisten im demokratischen Rechtsstaat einzunehmen hätten und formulierten Thesenpapiere, in denen die Einführung des Fachs „Berufsethik“ als „Pflichtveranstaltung in der Regeldienstzeit“[15]ebenso gefordert wurde wie die Einsetzung von Polizeibeiräten, die Mitwirkungsrechte und Kontrollmöglichkeiten von Bürgern gegenüber der Polizei auf Gemeindeebene ermöglichen sollten.[16] Zu den Referenten der „Bonner Polizeigespräche“ gehörten unter anderem der Düsseldorfer Polizeipräsident, Verfassungs- und Polizeirechtsexperte Hans Lisken, der Stuttgarter Ermittlungsrichter Uwe Hausel, der Politikwissenschaftler und Kriminologe Hans See [17] und der Direktor der Bereitschaftspolizei NRW Horst Olszewski. „Polizistinnen und Polizisten akzeptieren den Primat der Politik“, konstatierte dieser in seinem Diskussionsbeitrag, einen wesentlichen gemeinsamen Standpunkt aller Gesprächsteilnehmer formulierend, „unterwerfen sich jedoch nicht meinungslos den Interpretationen von Politikern. Sie sind kein Mittel der Herrschaftssicherung. Für sie gelten die gleichen Wertentscheidungen der Verfassung wie für die Gesamtgesellschaft.“[18]

Das öffentliche Lob und die wohlwollende Anerkennung, die ja auch einige Vorgesetzte durch ihre Teilnahme an den „Bonner Polizeigesprächen“ signalisierten, schützten die „Kritischen“ keineswegs vor zum Teil sogar massiven Angriffen aus dem Kollegenkreis: „Nestbeschmutzer“ und „Schmuddelkinder“ [19] seien sie, nichts anderes als „Verräter“. Was die „Kritischen Polizisten und Polizistinnen“ in der konkreten historischen Situation in jedem Fall und ohne Zweifel losgetreten hatten, war eine zeitlos aktuelle Debatte: „Was für eine Polizei wollt Ihr denn?“[20]

Literatur:

Fehdehandschuh für den ‚Himmelkasper‘. Das 2. „Bonner Polizeigespräch“ der BAG. In: Behörden Spiegel, Mai 1990, o.S.

Vom gerechten, toleranten und selbstkritischen Polizisten. Thesen der „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen“ zu Aufgaben und Kompetenzen der Polizei. In: Frankfurter Rundschau Nr. 250, 27.10.1989. S. 10.

Stiftung Mitarbeit (Hg.): Zweites Bonner Polizeigespräch, 28. April 1990. „…Wann sollten Polizisten Nein sagen?“ Dokumentation einer Debatte. (Brennpunkt-Dokumentation Nr. 7) Bonn 1990.

Dies. (Hg.): Drittes Bonner Polizeigespräch, 9. November 1991. Was für eine Polizei wollt Ihr denn? – Ansprüche an einen kontrollierten Machtapparat. (Brennpunkt-Dokumentation Nr.16) Bonn 1992.

Such, Manfred: Bürger statt Bullen. Streitschrift für eine andere Polizei. Essen 1988.

Konzeption: Forschungsgruppe BiBeLL der FHöV NRW,

Text: Heike Wüller; Gestaltung: Martina Eckert

 

[1] Vgl.: www.mitarbeit.de (Stand: 3.3.2014). Wir danken der “Stiftung Mitarbeit”, vor allem Herrn Ulrich Rüttgers, dafür, dass sie uns auf besonders freundliche und unkomplizierte Art ihre Publikationen zur Verfügung gestellt hat.

[2] Vgl.: www.gsi-bonn.de

[3] Vgl.: www.gustav-heinemann-initiative.de

[4] Holzinger, Winfried: Begrüßungsrede, in: Stiftung Mitarbeit (Hg.): Zweites Bonner Polizeigespräch, 28. April 1990. „…Wann sollten Polizisten Nein sagen?“ Dokumentation einer Debatte (Brennpunkt-Dokumentation Nr. 7) , Bonn 1990, S. 5-7, hier: S. 5

[5] Vgl. etwa: Der Spiegel 32/1988 (08.08.1988): Schamhaftes Schweigen. S.55-57

[6] Such, Manfred: Bürger statt Bullen. Streitschrift für eine andere Polizei. Essen 1988, S. 37

[7] Vgl. etwa: Polizeispiegel 1/90, eingefügt: Kurier für die Polizei des Landes Berlin, Deutsche Polizeigewerkschaft Berlin, S. 1

[8] Der Wortlaut ist abgedruckt in: Frankfurter Rundschau vom 27. Oktober 1989, S. 10 (Vom gerechten, toleranten und selbstkritischen Polizisten. Thesen der „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen“ zu Aufgaben und Kompetenzen der Polizei).

[9] Werkentin, Falco: Entwicklung der Polizei in Deutschland. Kritik und Perspektiven. In: Stiftung Mitarbeit (Hg.): Drittes Bonner Polizeigespräch, 9. November 1991. Was für eine Polizei wollt Ihr denn? – Ansprüche an einen kontrollierten Machtapparat (Brennpunkt-Dokumentation Nr.16). Bonn 1992. S. 9-18, hier: S. 9

[10] Dokumentation Verleihung des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises an die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen. Erwiderung durch Manfred Mahr / Hamburg, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen, in: Such, Bürger statt Bullen, S. 164-170, hier: S. 166-167

[11] www.kritische-polizisten.de/entwicklung/, Stand: 3.3.2014

[12] Werkentin, Entwicklung der Polizei in Deutschland, S. 9

[13] Dokumentation des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises an die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen. Text der Urkunde des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises, in: Such, Bürger statt Bullen, S. 157-158, hier: S. 158

[14] Die weiteren Gespräche fanden statt im April 1990, im November 1991 und im März 1993.

[15] Boden, Bernward: Thesenpapier: Zwischen Uniformität und persönlicher Verantwortung: Wann sollten Polizisten NEIN sagen?, in: Stiftung Mitarbeit (Hg.): Zweites Bonner Polizeigespräch, 28. April 1990, S. 77-80, hier: S. 78

[16] www.kritische-polizisten.de/entwicklung/ (Stand: 3.3.2014)

[17] Vgl.: Stiftung Mitarbeit (Hg.), Drittes Bonner Polizeigespräch.

[18] Olschewski, Horst: Statement zum Thema „Polizistinnen und Polizisten im Spannungsfeld zwischen Uniformität und persönlicher Verantwortung. Wann sollten Polizisten NEIN sagen?, in: Stiftung Mitarbeit (Hg.), Zweites Bonner Polizeigespräch, S. 11-13, hier: S.12

[19] vgl. Werkentin, Entwicklung der Polizei in Deutschland, S.10

[20] So lautete der Titel des „Dritten Bonner Polizeigesprächs“ (vgl. Fußnote 9).