Aufnahme ukrainischer FlüchtlingeEin Erfahrungsbericht

Olga Dobrygina-Trippe, Leiterin des Teildezernats 14.1 (Evaluation, (Re-)Akkreditierung, Qualitätsmanagement), hat nach Kriegsausbruch eine junge Frau aus der Ukraine und ihren Sohn bei sich aufgenommen. In dem folgenden Erfahrungsbericht schildert sie ihre Eindrücke.

Ich kann mich noch sehr gut an den Morgen des 24. Februar 2022 erinnern: Als ich aufwachte, griff ich nach meinem Handy und las die Meldung, die bereits wochenlang angekündigt wurde und doch niemand so richtig geglaubt hat. „Die Ukraine wird angegriffen“, sagte ich zu meinem Mann, bevor ich aufstand, um meinem Alltag nachzugehen. Doch seitdem fühlte es sich lange nicht alltäglich an. In den ersten Tagen nach Ausbruch des Krieges meldeten sich sowohl Freunde als auch Kolleginnen und Kollegen bei mir und boten ihre Unterstützung an, weil sie wussten, dass ich gebürtig aus der Ukraine komme und dort noch Familie und Freunde habe. Je mehr Hilfe mir angeboten wurde, desto hilfloser habe ich mich selbst gefühlt. Die Entscheidung darüber, ob wir jemanden für eine gewisse Zeit bei uns aufnehmen, fiel relativ schnell.

Natascha ist etwa zwei Wochen nach Kriegsausbruch mit ihrem 10-jährigen Sohn nach Polen geflüchtet. Die Flucht beschrieb sie mir als eine Fahrt ins Ungewisse, bei der unklar war, wann und wo sie letztlich ankommen würden. Für den Ernstfall hatten sie eine Art Survival-Ausrüstung mit Messer, Streichhölzern usw. eingepackt. Nach ein paar Wochen Aufenthalt in Polen und der Erkenntnis, dass sie vorerst nicht wieder zurückkehren können, hat sie sich dazu entschlossen, nach Deutschland zu kommen, damit ihr Sohn in der Nähe seiner Großeltern sein konnte, die in der Zwischenzeit bei meinen Eltern untergekommen waren.

Seit Ende April leben die beiden bei uns. Trotz der schrecklichen Umstände, die dazu geführt haben, fühlt es sich wie in einer WG mit Freunden an. Neben den vielen Behördengängen, die wir machen und für die ich glücklicherweise Unterstützung von Seiten der HSPV NRW bekomme, verbringen wir regelmäßig auch Abende oder Wochenenden zusammen. Die kulturellen Unterschiede und die Sprachbarriere zwischen meinem Mann, der gebürtiger Deutscher ist, und unseren Gästen führen zum Teil zu lustigen Situationen, über die wir alle lachen können. An meine Unpünktlichkeit und Spontanität in der Freizeitplanung hat sich mein Mann längst gewöhnt, bei drei gebürtigen Ukrainer/innen im Haushalt potenziert sich dieser Umstand allerdings. Zum Glück nimmt er es mit Humor und räumt im Gegenzug mit einigen Vorurteilen gegenüber Deutschen auf, beispielsweise, dass Deutsche zum Bier getrocknete Salami essen oder besonders ordnungsliebend und überkorrekt sind.

Obwohl ich die Nachrichten zum Ukraine-Krieg momentan nur sehr reduziert verfolge, ist das Thema weiterhin täglich präsent. Die Geschichten aus der Ukraine bekommen Namen und Gesichter. Ich erfahre, wie der Alltag in der Ukraine neben dem Krieg für diejenigen weitergeht, die geblieben sind, aber auch welche Zweifel und Gewissensbisse die Geflüchteten durchleben müssen und wie groß ihre Sorgen und Ängste um die zurückgelassenen Väter und Söhne sind, die jederzeit in den Wehrdienst eingezogen werden können.

Natürlich wünsche ich den Menschen, dass sie so schnell wie möglich wieder in ihre Heimat zurückkehren können; dennoch möchte ich unseren Gästen die Zeit in Deutschland so angenehm wie möglich machen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer ein „Neuanfang“ in einem fremden Land sein kann. Dazu gehört auch, bald in eine eigene Wohnung zu ziehen, die wir Dank der großen Hilfsbereitschaft und Solidarität einer HSPV-Kollegin schon gefunden haben. Der Umzug von Natascha und ihrem Sohn wird mich vermutlich ein bisschen traurig stimmen, aber bis dahin haben wir noch viel Arbeit vor uns.

Abschließend möchte ich an dieser Stelle ein großes Dankeschön an mein Team für die Sachspenden an die Familie aussprechen!