Geschichte und GegenwartEzidische Kultur in NRW und an der HSPV

Aufnahme einer jesidischen Tempelanlage.
Tempelanlage

Eine Lehrbeauftragte gibt Einblicke in die ezidische Gemeinschaft

Vorbemerkung des Netzwerks „Weltoffene Hochschulen“: Nach dem Beitrag von Viktória Mensen zum Vergleich der Polizeiausbildung in Deutschland und Ungarn in der Mai-Ausgabe des Newsletters „HSPV Aktuell“, wurden wir auf die hohe Anzahl der im Einzugsbereich des HSPV-Studienorts Bielefeld lebenden Eziden aufmerksam. Das Wissen über die ezidische Kultur ist – so unser Eindruck – in der Öffentlichkeit sehr gering. Daher baten wir Firyar Yildiz, einige grundlegende Informationen zur ezidischen Kultur für den Newsletter beizutragen.

Heute leben ca. 300.000 Eziden1 – bekannt auch als Jesiden, Yeziden oder Yazidi – in Deutschland, viele davon in Ostwestfalen/Lippe. Die Eziden sind eine ethno-religiöse Gemeinschaft, deren ursprüngliche Siedlungsgebiete im heutigen Irak, Iran und der Türkei zu suchen sind. Über die ezidische Religion kursieren merkwürdige und teilweise bösartige Gerüchte. Sie mit anderen Religionsgemeinschaften zu vergleichen, fällt schwer, weil im Ezidentum Monotheismus, Kastenwesen, Reinkarnationsglaube, mündliche Traditionen und ethno-religiöse Zugehörigkeit zusammenkommen. Bestandteile, wie wir sie aus anderen Religionen zwar kennen, nicht jedoch in dieser Kombination.
 


1 Bei den Recherchen zu diesem Text tauchten in der Literatur unterschiedliche Bezeichnungen für Eziden auf, solche wie „Jesiden“ oder „Yazidi“, aber auch „Yeziden“. Für diese Arbeit wird die Schreibweise „Eziden“ gewählt, die übersetzt so viel heißt wie „Der, der mich erschaffen hat“, und von der Mehrheit übernommen wird (vgl. Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen). Online abrufbar unter: https://www.ezw-berlin.de/publikationen/lexikon/eziden/ (zuletzt aufgerufen am 15.07.2024).

Geschichte und Migration der Eziden

Das Ezidentum ist eine monotheistische, mündlich tradierte Religion, die ähnliche Glaubenselemente wie andere Religionen (Wallfahrt, Beschneidung der Knaben, Fasten) praktiziert. Zu den Herkunftsländern der Eziden zählen die kurdischen Gebiete des Iraks, Syriens, der Türkei und des Kaukasus, wo sie eine religiöse Minderheit darstellen und seit Jahrhunderten Verfolgungen ausgesetzt sind. Ihr Hauptsiedlungsgebiet ist der Nordirak, wo sich das religiöse Zentrum Lalish befindet.

Im Jahre 1961 gab es wegen des hohen Bedarfs an Arbeitskräften ein Anwerbeabkommen zwischen der deutschen und der türkischen Regierung, sodass die ersten Eziden als Gastarbeiter bereits in den siebziger Jahren aus ihren Siedlungsgebieten im Süd-Osten der Türkei nach Deutschland kamen. Durch den dritten Militärputsch 1980 in der Türkei änderte sich die Lage der Eziden: Diesmal verließen sie ihre Heimat nicht, um einen Arbeitsplatz zu bekommen, sondern weil sie auch als Kurden aus ethnischen, politischen und religiösen Gründen in ihrer Heimat Repressalien zu befürchten hatten. Die Eziden aus der Türkei sind zum größten Teil erst nach 1980 als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, um hier Asyl zu ersuchen. Erst im Jahre 1982 erkannte ein Urteil am Verwaltungsgericht Stade für die Eziden aus der Türkei den Status „Gruppenverfolgte“ an, was eine zweite Welle der ezidischen Nachzügler mit sich brachte (vgl. Wettich 2015: 148). Schätzungen zufolge wurden die ezidischen Dörfer zu 98 % verlassen, um politisches Asyl zu ersuchen (vgl. Schulz: 2016: 28), weshalb heute 98 % der Eziden aus der Türkei in Deutschland leben. Mit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2010 und der Bedrohungen durch die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ im Jahre 2014, nimmt die Anzahl ezidischer Flüchtlinge aus dem Nordirak und Syrien zu.

Religiöse Überzeugung

Im Ezidentum wird das Leitbild verinnerlicht, dass der Mensch allein für sein Wirken und Handeln verantwortlich ist – also durch die Fähigkeit des Hörens, Sehens und Denkens, welche er von Gott/der Gottheit erhalten hat (vgl. Tagay/ Ortac 2016: 66). Eine „Proselytenmacht“, das heißt einen religiösen Missionierauftrag, kennt das Ezidentum nicht, was eine Konversion zum ezidischen Glauben unmöglich macht.

Innerhalb der ezidischen Gemeinschaft besteht seit dem 12. Jahrhundert ein striktes Kastensystem, dem eine strenge Hierarchisierung zugrunde liegt, welche die Gläubigen nach dem Erbprinzip einer der folgenden Kasten zuordnet: den Laien (Mirids) oder den zwei Kasten der religiösen Würdenträger (Pîrs oder Scheichs). Ein Wechsel zwischen den Kasten ist nicht möglich. Die Menschen in den verschiedenen Kasten sind einander gleichgestellt und empfangen denselben Respekt. Die durch das Kastensystem geregelte Hierarchie ist religiöser und nicht sozialer Natur. An der Spitze der ezidischen Glaubensgemeinschaft steht ein weltlicher und ein geistlicher Führer, der den Vorsitz des ,,Geistigen Rates“ innehat.

Vereinsstrukturen und ihre Bedeutung heute

Durch die verstärkte Migration der Eziden nach Europa, insbesondere nach Deutschland, geht man heute davon aus, dass sie die größte Diasporagemeinschaft in der Bundesrepublik bilden. Die meisten von ihnen leben in Nordrhein-Westfalen (Raum Bielefeld, Herford, Detmold) und Niedersachsen (Raum Oldenburg, Celle, Hannover und Kleve). Bereits 2015 zählte man hierzulande ca. vierzig ezidische Vereine beziehungsweise Organisationen (vgl. Eißler 2015: 207).

Durch die Migration haben sich für die Eziden neue Möglichkeiten angeboten, was die Bildung betrifft. So finden sich Eziden heute auch im öffentlichen Dienst wieder. Am Standort Bielefeld der HSPV NRW sind sie beispielsweise im Polizeivollzugsdienst und im allgemeinen Verwaltungsdienst vertreten, sowohl in der Studierendenschaft als auch in der Dozierendenschaft.

  • Eißler, Friedmann (2015):  Zur Situation der Eziden. Materialdienst der EZW, 6, S. 205-210.
  • Schulz, Aniko (2016): Die besonderen traditionellen Regeln der Partnerwahl der Yeziden und deren Auswirkung auf die Integration. Berlin: Epubli.
  • Tagay, Sefik; Ortaç, Serhat (2016): Die Eziden und das Ezidentum. Geschichte und Gegenwart einer vom Untergang bedrohten Religion. Hamburg: Landeszentrale für politische Bildung.
  • Wettich, Thorsten (2015): Die zivilgesellschaftlichen Potentiale der yezidischen Community, in: Alexander Kenneth- Nagel (Hrsg.): Religiöse Netzwerke. Die zivilgesellschaftlichen Potentiale religiöser Migrantengemeinden. Bielefeld: transcript Verlag.