Zwischen Brot und BildungEin Vergleich zwischen Deutschland und den USA
Erfahrungsbericht eines HSPV-Lehrenden
„Alles ist ein bisschen… anders.“ Dies ist der wiederkehrende Gedanke, der mich in Deutschland und insbesondere im deutschen Hochschulwesen begleitet, seitdem ich 2016 meine Heimat in den USA verließ und nach Deutschland zog. Deutschland und die USA ähneln sich dennoch sehr: Unsere Selbstverständnisse als „westliche Länder“ und Erben der antiken Kultur bilden ein gemeinsames gedankliches Fundament, unsere Sprachen sind strukturell ähnlich aufgebaut, unsere gesellschaftspolitischen Aspirationen und Werte überlappen sich weitgehend. Es besteht ein reger Austausch zwischen den scientific communities beider Länder – insbesondere in meiner Disziplin, der Philosophie. Ja, auch in alltäglichen Dingen sind wir doch Brüder und Schwestern einer übernationalen Gemeinschaft. Amerikaner mögen Brot, Wurst, Käse und Kuchen genauso sehr wie die Deutschen.
Und doch fängt die Andersartigkeit gerade da an. Das weiche amerikanische Brot aus der Tüte, das für den Toaster nahezu prädestiniert ist, sieht doch ziemlich anders aus als das hochgepriesene deutsche Schwarz-, Dinkel-, Urkorn- oder Sonstwasbrot – und es ist nicht anders mit dem Kuchen. Beide Länder sind zwar auf ihre hochentwickelten Hochschulsysteme stolz, die Studien- und auch die Lehrerfahrungen sind aber doch sehr unterschiedlich. Vieles an der deutschen Universität dreht sich um Forschung oder – noch genauer – um die Einwerbung von Drittmitteln für diejenige Art von Forschung, die der Logik der Drittmittelausschreibungen entspricht. Die Lehre und der Umgang mit Studierenden kommen dadurch oft unter die Räder. Unter dem Druck des wissenschaftlichen Geldgeschäfts und der immer steigenden Publikationserwartungen werden die jungen Menschen in unseren Seminaren und Vorlesungen – deren Weiterbildung eigentlich das Herzblut und Kernanliegen der Universität im ursprünglichen Sinne darstellt – allzu oft als Ablenkung von „Wichtigerem“ wahrgenommen. In Berufungsverfahren zählen letztendlich eingeworbene Summen und nur selten die Leben, die man in der Lehre berührt und bereichert hat.
Amerikanische Universitäten sind freilich von unzähligen, auch systemischen Problemen geplagt. Was sie aber aus meiner Sicht richtig machen, ist die nahezu radikale Fokussierung auf die einzelnen Studierenden und auf die Qualität ihrer Lernerfahrungen. Es kann sein, vielleicht ist es sogar wahrscheinlich, dass diese Wertorientierung dem Einfluss von Marktdynamiken im amerikanischen Hochschulwesen zu verdanken ist. Es kostet viel Geld, in den USA zu studieren, und die Unis konkurrieren gegeneinander um Studierendenzahlen und Studiengebühren. Ich selbst fand es höchstbedenklich, dass man als Student an der University of Texas auf eine „Add to Cart“-Taste drücken musste, um sich im Onlinesystem in einem Kurs einzuschreiben. Wie dem auch sei, herrscht an der amerikanischen Universität eine allgemeine Service-Orientierung gegenüber den Studierenden, von der ich selbst als Student profitierte, zu der ich als Akademiker beitragen wollte und auf die ich mich deshalb als Hochschullehrer freute.
Ich war – ehrlich gesagt – enttäuscht, ja manchmal sogar empört, als ich Jahre später, inzwischen an einer deutschen Uni als „WiMi“ angekommen, von Studierenden hörte, wie sie und ihre Anliegen von manchen Dozierenden und Professor/innen an der Universität behandelt, oder gänzlich ignoriert wurden. Ich überlegte mir tatsächlich auszusteigen. Ich wollte nicht mehr mitmachen, nicht mehr einer solchen Institution meine Lebensenergie widmen. Als ich mich damals entschied, Akademiker zu werden, habe ich es mir einfach anders vorgestellt.
Dann aber erzählte mir ein Freund von einer Hochschule, von der ich bisher noch nie zuvor gehört hatte: die HSPV NRW. Was soll das sein? Eine Hochschule, die die Polizei und die kommunale Verwaltung ausbildet? Und es soll dort gut sein? Anders als an der Uni? Und wo soll diese Stelle sein? Gelsenkirchen?
It’s worth a shot, dachte ich. Meine Bewerbung für die Stelle in Ethik und Interkulturelle Kompetenz schickte ich ein paar Wochen später ab.
Nun bin ich fast ein Jahr an der HSPV NRW als Dozent tätig und kann bestätigen: The shot was worth it. In der Tat ist die Lehr- und Lernkultur an der HSPV NRW in Gelsenkirchen anders, sogar sehr anders, als das, was ich an der Universität erlebte. Denn hier herrscht eine allgemeine Haltung der Fürsorge und Verantwortung gegenüber den Studierenden, hier wird die Qualität der Lehre als eine zentrale Zielsetzung der Hochschule hochgehalten. Ich lerne immer wieder Dozierende kennen, die bereit sind, sich über ihre Sitzungen, ihre Inhalte, ihre Erfolge und Misserfolge auszutauschen, nicht um bloß davon zu „erzählen“, vielmehr um besser zu werden. Team-Teaching, Lehrprojekte, Onboarding für neue Lehrende und ein Zertifikatsprogramm für Hochschuldidaktik – das sind allesamt weitere Zeichen, dass sich die Hochschule in erster Linie als ein Ort der Bildung versteht. Und das ist gut so: Unser Bildungsauftrag mit der Polizei und der kommunalen Politik muss eingelöst werden, wenn wir eine lebenswerte Demokratie schaffen und erhalten wollen.
An der HSPV NRW ist trotzdem alles ein bisschen anders, wenn ich einen Direktvergleich mit amerikanischen Hochschulen vornehme. Auch das ist gut so: Wir wollen in der globalisierten Welt unsere kulturellen Identitäten nicht verlieren, sondern sie in einen regen Austausch bringen, sodass wir voneinander lernen und miteinander wachsen können. Eins steht dabei fest: An der HSPV NRW habe ich eine akademische Heimat gefunden.