Über den Tellerrand gegucktDer Weg zur Polizei in Ungarn
Schilderungen einer HSPV-Studentin
Weltoffenheit erhält man unter anderem durch den Blick auf andere Länder. Durch meine Familie habe ich Wurzeln in Ungarn. Als ich von Beteiligten des Netzwerks „Weltoffene Hochschulen“ an der HSPV NRW gefragt worden bin, wie der Weg zur Polizei in Ungarn ist und ob es Ähnlichkeiten zum Polizeistudium in NRW gibt, habe ich den Kontakt mit Absolventen der ungarischen Universität aufgenommen. Darüber berichte ich gerne.1
Die Polizei, als ausführende Gewalt, ist ein wichtiger Teil jedes demokratischen Staates. Um dieses Amt bekleiden zu dürfen, müssen die Anwärter verschiedene Disziplinen bewältigen und die Rechtsordnung in Fleisch und Blut übergehen lassen, um auch in stressigen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen. Deutschland und Ungarn haben verschiedene Wege gewählt, um ihre Anwärter auf die Herausforderungen des Amtes vorzubereiten.
Welche Wege gibt es, um rendőr zu werden?
Das Wort rendőr bedeutet wortwörtlich übersetzt „Ordnungshüter“. Das ist die offizielle Bezeichnung für einen ungarischen Polizisten. Dieser Begriff taucht immer wieder in diesem Artikel auf und bezieht sich stets auf den Polizistenanwärter in Ungarn. Um rendőr zu werden, stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl. Sie unterscheiden sich in Dauer, Einstiegshürde, erreichbarem Abschluss/Dienstgrad und in den erworbenen Befugnissen.
Es gibt die Möglichkeit, an einer Fortbildung (zehn Monate in Vollzeit) teilzunehmen. Diese Form ist eher für Quereinsteiger geeignet, um die nötigsten Fähigkeiten zu erwerben. Diese Personen werden später die Partner eines anders ausgebildeten Polizisten, um mit diesem auf Streife zu gehen oder sich an Grenzkontrollen zu beteiligen. Sie dürfen Waffen tragen, allerdings haben sie nicht die Befugnis, polizeiliche Maßnahmen alleine einzuleiten.
Der zweite Weg ist, eine Ausbildung zu absolvieren. Ein bereits erworbener Schulabschluss qualifiziert Interessierte für eine zweijährige Ausbildung im polizeilichen Dienst.
Eine dritte Möglichkeit beginnt nach der Grundbildung (Abschluss der achten Klasse): Hier können sich die 14-Jährigen an einer Fachmittelschule bewerben. Die fünfjährige Ausbildung endet mit dem Abitur und einer Abschlussprüfung. Die Polizisten, die die Ausbildung abgeschlossen haben, sind beispielsweise befähigt, als Streifenpolizist polizeiliche Maßnahmen zu ergreifen. Durch das Abitur ist es aber auch möglich, sich bei der Nemzeti Közszolgálati Egyetem (Ludovika Universität für öffentliche Verwaltung) zu bewerben. Diese Universität ist einzigartig in Ungarn und gibt es ausschließlich in der Hauptstadt. Das Land ist in Komitate aufgeteilt. Ihre Befugnisse sind aber nicht mit denen der deutschen Bundesländer vergleichbar. Die polizeilichen Aufgaben liegen grundsätzlich in nationaler Zuständigkeit.
Was muss man Vorweisen, um die Anwärterzeit an der Hochschule/Universität überhaupt antreten zu dürfen?
Die Hürden sind sehr hoch. In beiden Ländern – Ungarn und Deutschland – werden die Anwärter umfangreichen gesundheitlichen Untersuchungen unterzogen. Während sie in Deutschland verschiedene Sportabzeichen vorweisen müssen, stellen rendőr in Ungarn an einem zentralen Sporttest mit verschiedenen Aufgaben ihre körperliche Fitness und Ausdauer unter Beweis.
Die psychische Eignung wird in beiden Ländern mit einem Test erforscht. Die deutschen Anwärter füllen ihn online aus, der rendőr muss 400 bis 450 Fragen in Präsenz bewältigen, mit einer abschließenden Auswertung und einem einstündigen Gespräch mit einem Psychologen.
Während die Polizistenanwärter ihre Einstellungsbehörde überzeugen müssen, laufen die Bewerbungsgespräche der rendőr vor dem Ausschuss der Universität.
Wie läuft das Studium ab?
Hier haben beide Länder sehr unterschiedliche Methoden ausgewählt. Die Beamtenanwärter in NRW nehmen an einem dreijährigen Dualen Studium teil, das in einem Dreischritt gegliedert ist: Theorie lernen, durch Training vertiefen und in der Praxis anwenden. Diese Abschnitte wechseln sich regelmäßig ab.
Der rendőr muss ein vierjähriges Studium absolvieren. Durch die längere Studienzeit sind die Vorlesungspläne etwas offener gestaltet. Im dritten Jahr haben sie zum Beispiel freitags statt „klassischer“ Vorlesungen die Möglichkeit, Autopsien beizuwohnen oder Gerichtsverhandlungen beizusitzen. Theorie und Training laufen hier parallel ab. Für die Praxis sind die Studenten verpflichtet, 160 Stunden an einer Polizeiwache im Sommer abzuleisten; ab dem zweiten Jahr in der jeweiligen Fachrichtung, die sie an der Universität für sich ausgewählt haben. Eine derartige Spezialisierung ist in NRW (momentan) erst nach der Erstverwendung möglich.
In beiden Studienformen sind häufig Prüfungen angesetzt. Der Anwärter in NRW hat für eine Klausur zwei Versuche. Ein Nichtbestehen innerhalb dieses Rahmens bedeutet das Ende der Karriere.
Zum Antritt der Studienzeit in Ungarn verpflichtet sich der rendőr auf zehn Jahre Dienstzeit nach seinem Studienabschluss. Das Studium selbst muss innerhalb von vier Jahren mit allen vorgeschriebenen Modulen abgeleistet werden; eine strikte Versuchs-Obergrenze je Modul gibt es nicht, es sind also theoretisch mehrere Versuche möglich. Sollte das Studium innerhalb dieser Zeit nicht erfolgreich bestanden werden, beginnt er seine Dienstzeit mit einem niedrigeren Dienstgrad. Ihm ist es jedoch möglich, das Studium berufsbegleitend zu Ende zu bringen – allerdings nur für ein halbes Jahr „extra“, sonst ist das Studium endgültig fehlgeschlagen.
Das Studium wird bei den Anwärtern in NRW mit einer Bachelorarbeit und Kolloquium abgeschlossen, vom rendőr wird ein Staatsexamen erwartet.
Viktória Mensen ist Studentin des Bachelorstudiengangs Rentenversicherung am Studienort Münster. Frau Mensen ist in Ungarn geboren und aufgewachsen, ihre Familie lebt weiterhin dort. Ihr Vater war Polizist, ihre Mutter arbeitet bis heute bei der Polizei in ihrer Heimatstadt.
1 Ein besonderer Dank gilt den mitwirkenden Studenten der HSPV NRW sowie Balázs Hagen und Lili Gombos, Studierende der Nemzeti Közszolgálati Universität, und József Deák, Adjutant, für die Kontaktvermittlung.