Weltoffenheit und PolizeiBerufsethische Bildung am LAFP der Polizei NRW

Weltkugel vor buntem Hintergrund.
Im Mittelpunkt des Beitrags steht die berufsethische Bildung am LAFP NRW

Die praktische Bedeutung von Weltoffenheit für die Polizei

Die HSPV NRW ist Teil des Netzwerks „Weltoffene Hochschulen gegen Fremdenfeindlichkeit“. Weltoffenheit als Wert und als konstitutives Element des Netzwerks ist selbstredend auch für die Polizei NRW und für ihre zentrale Aus- und Fortbildungsbehörde relevant. Der folgende Aufsatz fragt nach der praktischen Bedeutung von Weltoffenheit, verortet die Aushandlung von Weltoffenheit in der berufsethischen Bildung am Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP NRW) und skizziert ihre auch daraus folgende methodische und didaktische Ausrichtung.

Wer in die Welt fragt, was Weltoffenheit eigentlich ist, wird vermutlich viele verschiedene Antworten erhalten. Gerade deshalb bedarf es einer rudimentären Verständigung über die Bedeutung des Begriffs, möchte man das Feld der Polizei und ihrer Aus- und Fortbildung daraufhin abtasten. Denn zunächst kann festgestellt werden, dass die Polizei als Institution in verschiedener Hinsicht gerade nicht weltoffen, sondern vielmehr beschränkt und gebunden ist: So agiert sie etwa im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit (Orts- und Sachgebundenheit) und ist grundsätzlich weder offen für den Rest der Welt außerhalb der Bereichsgrenzen noch für den Rest der Welt möglicher Betätigungen. Die Polizei darf überdies ausschließlich im Rahmen ihrer gesetzlichen Ermächtigungen (Rechtsgebundenheit) handeln und regelt das gesellschaftliche Zusammenleben entlang gesetzlicher Vorgaben. Eine Offenheit für die Welt alternativer Rechtfertigungen für polizeiliches Handeln hat in diesem Gefüge ebenso wenig Platz wie eine Offenheit für alle Phänomene menschlichen Zusammenlebens. Diese Bindungen trotzen den relativierenden Aspekten von Offenheit an den demokratisch und rechtstaatlich wichtigen Stellen. 

Und dennoch darf man mit Fug und Recht annehmen, dass die Polizei und ihre Beschäftigten in einem besonderen Sinne weltoffen sein können und auch sein müssen – gerade, um die rechtsstaatlichen und demokratischen Erwartungen an sie einzulösen.
 

Von der Polizei als Institution und ihren Beschäftigten als Amtswalter und Repräsentanten wird insbesondere erwartet,

  1. dass sie sich offen gegenüber gesellschaftlichem Pluralismus zeigen, der sich aus der Vielfalt und Individualität menschlichen Lebens speist,1
     
  2. dass sie für alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, gleichermaßen als vertrauenswürdige, rechtsstaatliche Akteure auftreten2 und
     
  3. dass sie bei ihrer Aufgabenbewältigung reflektiert bleiben und sich der Verabsolutierung von Erkenntnissen verwehren.3


Es ließe sich verkürzen, dass der Anspruch an eine weltoffene Polizei im obigen Sinne eine Absage an Intoleranz, Diskriminierung und Kritiklosigkeit formuliert. Diese Anforderungen beziehen sich abstrakt auf die grundsätzliche Betrachtung des Individuums in Wechselwirkung zu seiner Umwelt und verweisen konkret auf den Polizeibeschäftigten und seine Haltungen und Handlungen in Wechselwirkung mit den Bürgern und den Kollegen, seinem Berufsethos und seinen Erfahrungen. Weltoffenheit als Wert verlangt, dass sich Polizeibeschäftigte über ihn verständigen und ihr Handeln an seiner praktikablen Essenz ausrichten. Die polizeiliche Aus- und Fortbildung muss diese Anforderungen adressieren und sich selbst daran messen lassen. Das obige Verständnis von Weltoffenheit hat insbesondere soziale, politische und ethische Dimensionen. Wo aber ist in der Aus- und Fortbildung Platz für derlei Fragestellungen; wo lassen sich diese Themen produktiv adressieren? Die meisten Aus- und Fortbildungsangebote zielen vordergründig ab auf Wissens- und Kompetenzvermittlung in den Bereichen Taktik, Technik, Recht, Eingriffstechniken etc. Eine primäre Zuständigkeit für soziale, politische und ethische Aspekte ist deswegen vor allem in der berufsethischen Bildung zu verorten, die sich über den Ansatz der Reflexion genau diesen – unberechtigt oftmals als „weich“ titulierten – Dimensionen widmet.

Die Grundfragen der Ethik fragen nach dem, „woran wir unser Handeln in letzter Hinsicht orientieren sollen“, und danach, „was wir unbedingt tun und unterlassen müssen, wie wir uns also überhaupt verhalten dürfen“.4 Die Grundvoraussetzung der Ethik im Allgemeinen und der berufsethischen Bildung in der Polizei im Speziellen ist mithin eine Offenheit des eigenen Denkens und Handelns für die Legitimität dieser Fragen und für verschiedene mögliche Antworten. Gleichzeitig kann als eine Grundabsicht der Berufsethik in der Polizei wohl festgehalten werden, dass sie vor dem Hintergrund von Erwägungen der Professionalität eine solche Offenheit herstellen und mit ihrer Hilfe den kritischen Austausch verschiedener Perspektiven, Haltungen, Meinungen, Ideen, Praxen usw. auf die Polizeiarbeit suchen möchte.

Die berufsethische Aus- und Fortbildung am LAFP NRW hat sich daher methodisch im Schwerpunkt dem moderierten Dialog verschrieben, der entlang praxisorientierter Impulse inhaltlich gelenkt wird. Polizeibeschäftigte treten in den Austausch über ihr eigenes berufliches Denken und Handeln und sind aufgefordert, ihre Standpunkte zu begründen und der individuellen und kollektiven Reflexion zugänglich zu machen. Die Didaktik der Methode ist mit den Schlagworten Kommunikation, Moderation, Konfrontation und Reflexion am besten umrissen. Dieses offene Format trägt der Vielfalt individueller Ansichten, Haltungen und Ideen innerhalb der Polizei Rechnung und eröffnet dem Individuum systematisch die Gefühls-, Gedanken- und Erlebniswelt seiner Kollegen sowie Perspektiven aus der nichtpolizeilichen Welt.

Ein Beispiel: Die Würde. Ein rechtliches wie ethisches Konzept, das auf der einen Seite etwa in Fragen seiner Herleitung, Bedeutung und Reichweite zu vielzähligen Kontroversen in den jeweiligen Fachwelten führt und das auf der anderen Seite unmittelbare Bindungswirkung für Stellen staatlicher Gewalt entfalten soll. Bei der Fruchtbarmachung des (moralischen) Gehalts von Würde für die alltägliche Polizeiarbeit gilt es, gemäß der genannten Rahmenbedingungen berufsethischer Bildung, im kritischen Dialog die Relevanz von Würde in verschiedensten Situationen zu identifizieren und zu diskutieren sowie auszubuchstabieren, was das im Umgang mit Personen und Situationen für professionelle Polizeiarbeit eigentlich bedeutet. Das fordert und fördert – bestenfalls – eine Offenheit für die Positionen und Erfahrungen von Kollegen sowie eine Offenheit für kritische (Nach-)Fragen des Moderators. 

Doch auch wenn es der Ethik „weder um Indoktrination noch um moralische Belehrung“5 geht, stößt sie in der polizeilichen Praxis an die Grenzen des normativen Bezugsrahmens von Polizeiarbeit. Das Beispiel der Würde macht das deutlich. Es gilt, allumfassende Offenheit dergestalt (im ursprünglichen Wortsinn) zu moderieren, dass Weltoffenheit im obigen Sinne als Kernaspekt professioneller und legitimer Polizeiarbeit seine Strahlkraft entfalten kann.

Insofern geht Weltoffenheit in der berufsethischen Bildung immer auch mit einer Wertgebundenheit einher6, deren Idee sich in dem hiesigen spezifischen Verständnis von Weltoffenheit widerspiegelt. Und all die Fragen, die sich hinter den Konzepten der Werte und der Werteorientierung verbergen, sind wiederum eigene Diskussionen wert: die Wertediskussion in der Polizei NRW. 

Weitere Informationen zum Selmer Zentrum für ethische Bildung und Seelsorge in der Polizei NRW finden Sie online.

 

Nils Montabon, Polizeioberkommissar
LAFP NRW, Zentrum für ethische Bildung und Seelsorge in der Polizei NRW (ZeBuS)

1 Vgl. z.B. Detjen, Joachim (2009): Die Wertordnung des Grundgesetzes. VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 219 ff.

2 Vgl. z.B. Stein, Sarah und Dübbers, Carsten (2021): Umgang mit Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei. Herausforderungen und mögliche Reaktionen. In: Schellenberg & Frevel (Hrsg.): Rassismus und Rechtsextremismusbekämpfung als Arbeitsfelder der Polizei: Ermittlungsarbeit und Opferschutz. Forum Politische Bildung und Polizei. Heft 1/2021. Verlag für Polizeiwissenschaft. S. 58 f.

3 Vgl. z.B. Beelmann, Andreas (2021): Zur Prävention von Vorurteilen: Psychologische Grundlagen und Anwendungsperspektiven. In: Schellenberg & Frevel (Hrsg.): Rassismus und Rechtsextremismusbekämpfung als Arbeitsfelder der Polizei: Aus- und Fortbildung. Forum Politische Bildung und Polizei. Heft 2/2021. Verlag für Polizeiwissenschaft. S. 11 f.

4 Werner, Micha H. (2021): Einführung in die Ethik. J. B. Metzler Verlag. S. 3.

5 Ahlf, Ernst-Heinrich (2000): Ethik im Polizeimanagement. BKA-Forschungsreihe, Band 42. Herausgegeben vom Bundeskriminalamt. 2. Auflage. S. 18

6 Vgl. dazu treffend das Leitbild der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol): „Wir stehen für eine weltoffene, wertegebundene Polizei, die sich ihrer Verantwortung im demokratischen Rechtsstaat, für Freiheit, Sicherheit und inneren Frieden bewusst ist.“ URL: https://www.dhpol.de/die_hochschule/wir_ueber_uns/leitbild.php (30.12.2022)