Es ist normal, verschieden zu seinSchwerbehindertenrechte in Deutschland

Schwerbehindertenrechte in Deutschland

100 plus zwei: In diesem Jahr bestehen in Deutschland die Schwerbehindertenrechte bereits seit über 100 Jahren

Das große Jubiläum fand im vorletzten Jahr statt, in dem so viele große Ereignisse von dem alles beherrschenden Thema der Corona-Pandemie überschattet wurden.

1920 trat – als Folge des 1. Weltkriegs – das Gesetz zur Beschäftigung „Schwerbeschädigter“ erstmals in Kraft. Zu den Kernelementen des Gesetzes zählten eine Beschäftigungsverpflichtung für Arbeitgeber, die Wahl eines Vertrauensmanns der Schwerbeschädigten sowie ein besserer Kündigungsschutz. Der Schutz bezog sich jedoch ausschließlich auf Menschen mit Kriegsverletzungen sowie Behinderungen aufgrund von Arbeitsunfällen.

Eine Einbeziehung von Menschen mit Schwerbehinderung, unabhängig von der Ursache, existiert erst durch das neue „Schwerbehindertengesetz“ von 1974. Mit der Verabschiedung des Schwerbehindertengesetzes 1986 wurde zudem die Rechtsstellung der Schwerbehindertenvertretung deutlich verbessert. Sie musste nun zwingend vor jeder personellen Einzelmaßnahme gehört werden, damit eine Entscheidung wirksam werden konnte.

Ein weiterer großer Meilenstein in Richtung Teilhabe war die Grundgesetzänderung im Jahr 1994. Damals wurde Artikel 3 des GG um den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ ergänzt.  Aufgrund dieser Änderung wurde eine fördernde Ungleichbehandlung – bekannt aus Stellenausschreibungen ist die Formulierung: „bei gleicher Eignung zu bevorzugen“ – rechtlich erst zulässig, was zu einem echten Schub in Richtung Teilhabe und Gleichberechtigung in der Arbeitswelt beigetragen hat.

In 2001 wurde mit der Einführung des SGB IX das Behindertenrecht umfassend reformiert und erstmals in einem eigenen Sozialgesetzbuch zusammengefasst.  Selbstbestimmung und Teilhabe waren die Prämissen der neuen Behindertenpolitik. Die Integrationsvereinbarung und das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) wurden unter anderem als neue Instrumente eingeführt.

Am 26. März 2009 ratifizierte Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention. Aus dieser Anerkennung folgte das Bundesteilhabegesetz und das gesamte Schwerbehindertenrecht wurde ab 2018 im Teil 3 des SGB IX geregelt. Dies hat zwar dazu geführt, dass sich die Paragrafenfolge deutlich verschoben hat, der Kern des Schwerbehindertenrechts, vom Schwerbehinderungsbegriff über den besonderen Kündigungsschutz bis zur begleitenden Hilfe im Arbeitsleben, blieb dabei aber unberührt. Die Definition der Behinderung wurde lediglich an den Sprachgebrauch der UN-Behindertenrechtskonvention angepasst.

Ursprünglich war im politischen Raum angedacht, die Rechte der Schwerbehindertenvertretung mehr zu stärken, ähnlich wie dies beispielsweise auch für den Personalrat geregelt ist. Letztendlich hat man das stärkere Beteiligungsrecht nur im Falle von Kündigungen von Schwerbehinderten im Bundesteilhabegesetz verabschiedet. Eine solch schwerwiegende Personalmaßnahme kommt jedoch an unserer Hochschule zum Glück so gut wie gar nicht zum Tragen.
In allen anderen Maßnahmen blieb es somit wie gehabt. Vor allem heißt es im SGB IX: „Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören.“

Man könnte sich nun fragen: „Was geht mich das an?“ Führen wir uns vor Augen, was der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker bereits in seiner Weihnachtsansprache 1987 sagte:
 

„Nicht behindert zu sein, ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk,
das jedem von uns jederzeit genommen werden kann.“


So ist es auch in Artikel 8 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention als gesellschaftliche Aufgabe beschrieben, Maßnahmen zu ergreifen, um das Bewusstsein für Menschen mit Behinderung zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde zu fördern.

Schwerbehinderte Menschen sehen es als selbstverständlich an, ihre Dienst- und Arbeitspflichten in gleicher Weise wie Nichtbehinderte zu erfüllen. Sie müssen jedoch in den meisten Fällen für das Arbeitsergebnis mehr Kraft und Energie als Nichtbehinderte aufwenden. Sie sind im Hinblick auf ihre Beeinträchtigungen und Leistungsfähigkeiten so unterschiedlich wie alle anderen Menschen auch. Es ist normal, verschieden zu sein. Häufig sind sie in ihrem beruflichen Einsatz sogar besonders engagiert, da sie es gewohnt sind, Barrieren zu überwinden und sich zu behaupten.

An verwirklichter Inklusion und Teilhabe müssen wir als Gesellschaft noch arbeiten. So ist unserem Innenminister zuzustimmen, wenn er sagt: „Inklusion beginnt auf dem Papier, mit guten Absichten. Echte Teilhabe muss dann aber auch in den Köpfen der Menschen ankommen, um zu funktionieren.“ (Herbert Reul, 2019)

An der HSPV NRW arbeiten wir als weltoffene Hochschule daran.