Folgen für Theorie und PraxisAufklärungsphilosophie und Rassismus

Aufnahme einer Gedenktafel mit dem Schriftzug Immanuel Kant.
Die Veranstaltung fand in den Räumlichkeiten des Studienorts Münster statt

Bericht zur zweiten transdisziplinären Forschungswerkstatt

Rassismus ist eine große Frage unserer Zeit und erfordert eine dauerhaft kritische Aufmerksamkeit hinsichtlich jeglichen hoheitlichen Handelns. Doch Rassismus beginnt in der Regel zuvor bereits als Denkmuster im Kopf der handelnden Personen. Grund genug, mit kritischem Blick auf die Grundlagen unseres Denkens zu schauen.

So fand am 6. Juni 2024 am HSPV-Studienort Münster die zweite transdisziplinäre Forschungswerkstatt zum aktuell viel diskutierten Thema „Der Rassismus der Aufklärungsphilosophie“ mit Prof. Dr. Franziska Dübgen (Universität Münster) als besonderem Gast unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Frauke A. Kurbacher (IGE* und WoH*) statt. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem IiAphR (Internationaler interdisziplinärer Arbeitskreis für philosophische Reflexion), vertreten durch Till Heller M.A. von der Bergischen Universität Wuppertal, durchgeführt. Des Weiteren waren Dr. Korassi Téwéché, Eva-Maria Landmesser und Friedrich Weißbach von der Universität Münster als Vortragende eingeladen. Ganz im Sinne des Formats kam hierfür eine spannende Runde aus Fachphilosoph/innen, Praktiker/innen sowie Lehrenden, Forschenden und Studierenden aus unterschiedlichen Disziplinen von der HSPV NRW und der Universität Münster zusammen.

Nachdem im vergangenen Jahr „der Andere und das Fremde als eine Frage der Haltung“ untersucht wurden, hat die diesjährige Forschungswerkstatt den 300. Geburtstag des berühmten Philosophen Immanuel Kant zum Anlass genommen, um sich anhand der in aktuellen Debatten erhobenen Rassismusvorwürfe gegenüber Kants Werken mit rassistischen Motiven innerhalb der europäischen Aufklärungsphilosophie auseinanderzusetzen. Kant hat mit seinen Überlegungen zur Begründung einer allgemeingültigen Ethik und einer universell geltenden Menschenwürde hochgradige Präsenz, angefangen von dem in Schulen vermittelten Kategorischen Imperativ über unsere Verfassung (erster Artikel des Grundgesetzes) bis hin zum internationalen Recht. Im Zentrum der Diskussion standen daher die Fragen, wie heute mit diesem mehrdeutigen intellektuellen Erbe verantwortungsbewusst umgegangen werden kann und inwiefern die gegenwärtige Philosophie – und damit auch unser heutiges Denken – von eurozentrischen und rassistischen Motiven durchdrungen bleibt. Ziel der Werkstatt war es einerseits zu eruieren, wie sich angesichts dessen mit philosophischen Mitteln Widerstand gegen Rassismus denken lässt und andererseits, Konsequenzen für die Praxis daraus abzuleiten.

In ihrem Auftaktvortrag hat Prof. Dr. Franziska Dübgen einen Überblick über rassistische Motive im Umkreis von Kants Aufklärungsphilosophie gegeben, um vor diesem Hintergrund unterschiedliche kritische Lektürestrategien aufzuzeigen. Dabei nahm die Inhaberin des Lehrstuhls für Praktische Philosophie am Institut für Philosophie der Universität Münster auch postkoloniale Positionen und Perspektiven aus der „Critical Race Theory“ mit auf, die anschließend in den darauffolgenden Workshops und Beiträgen von Dr. Carlos Korassi Téwéché und Friedrich Weißbach weiter vertieft worden sind. Die praktische Frage, wie wir heute konkret mit Rassismus umgehen sollten, ist anschließend von Dr. Korassi Téwéché und Eva-Maria Landmesser anhand des Falls von Mouhamed Dramé, der bei einem Polizeieinsatz in Dortmund am 8. August 2022 getötet wurde, insbesondere ethisch und offen reflektiert sowie gemeinsam mit den Teilnehmenden angeregt und vielfältig diskutiert worden.

Besonders eindrücklich war hierbei der zuvor durch Lektüren zu Archille Mmembe angeregte und phänomenologisch bis wahrnehmungspsychologisch weiterverfolgte Gedanke, dass Rassismus sich bereits vor der konkreten Begegnung mit einer Person gleichsam wie eine Barriere als Hürde aufbaut und den Kontakt schon erschwert, bevor er überhaupt zustande gekommen ist und sich insofern überaus problematisch als ‚verunmöglichte Möglichkeit‘, als verhinderte Chance im Leben aller Beteiligten niederzuschlagen vermag. Aus dem Plenum kam zudem der aktuelle Hinweis, wie stark jegliche kritische Arbeit an rassistischen Vorurteilen erschwert wird, wenn amtierende Entscheidungsträger/innen und Politiker/innen, nicht nur der rechtsextremen, sondern auch der bürgerlichen Seite, in Migration eines der vornehmlichen Probleme der Gegenwart vermeinen und damit Stimmung machen, aber ihrer Vorbildfunktion in keiner Weise gerecht werden.

Hier und an vielen anderen Stellen wurde deutlich, wie sehr es der weiteren Arbeit am Thema bedarf und wie beflügelnd gleichzeitig der gegenseitige Austausch mit ganz unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren der diversen Bereiche wirkte. Insofern hat diese Forschungswerkstatt bei aller Bedenklichkeit ihres Themas Lust auf mehr gemacht. Die gute Nachricht dazu: In der Tat ist bereits eine weitere Veranstaltung dieser als Trilogie geplanten Forschungsreihe im kommenden Jahr für den 6. Juni 2025 anberaumt. (Die WoH-Rubrik hält dafür alle Interessierten auf dem Laufenden.)
 

Hinweis

* Die Veranstaltung wurde vom IGE (Institut für Geschichte und Ethik der Polizei und öffentlichen Verwaltung) gefördert und in Kooperation mit dem IiAphR (Internationaler interdisziplinärer Arbeitskreis für philosophische Reflexion), dem Netzwerk WoH (Weltoffene Hochschulen gegen Fremdenfeindlichkeit) und der Universität Münster durchgeführt.