Konferenz des Arbeitskreises VerkehrssicherheitThesis vor Expertenkreis im Verkehrsministerium präsentiert

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Die Qualität von Bachelorarbeiten der FHöV NRW wird sowohl in der Landesregierung als auch in der Praxis zunehmend geschätzt und der wesentlicher Gehalt einer innovativen Thesis für eine Verbreitung des Wissens und neuer Ideen genutzt.

Polizeikommissarin Jule Borgmann präsentiert die Ergebnisse der Thesisarbeit (Foto: Peter Schlanstein, FHöV NRW)
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Zur diesjährigen Konferenz des Arbeitskreises Verkehrssicherheit im Ministerium für Verkehr Nordrhein-Westfalen wurde auf Initiative der obersten Dienstbehörde eine FHöV-Absolventin vom Studienort Münster mit der Bitte eingeladen, aktuelle Erkenntnisse ihrer Bachelorarbeit den Vertreterinnen und Vertretern der verschiedensten, auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit engagierten Institutionen und Verbänden im Land NRW vorzustellen.

Nach diesjährigem erfolgreichem Abschluss ihres Studiums der Polizei präsentierte PKin Jule Borgmann, seit September 2019 Angehörige der KPB Borken, den Fachleuten im Düsseldorfer Ministerium am 6. November 2019 durchweg überzeugend wesentliche Ergebnisse ihrer Thesis „Wie wirken sich Übermüdung und Sekundenschlaf auf die Leistungsfähigkeit und Verkehrssicherheit aus und inwieweit können die Fahrerassistenzsysteme das Unfallrisiko reduzieren?“. Gewandt und sattelfest äußerte sich die Beamtin im Anschluss an ihren Vortrag auf eine Fülle problemspezifischer Fragen aus dem Expertenforum. Teilnehmende des renommierten Arbeitskreises für den Informationsaustausch und für die Abstimmung verkehrssicherheitsrelevanter Themen waren – neben Vertreterinnen und Vertretern des Verkehrsministeriums – u. a. Repräsentanten des Innenministeriums sowie des Ministerium für Schule und Bildung NRW, des Deutschen Verkehrssicherheitsrats, des Zukunftsnetzes Mobilität NRW, der Unfallkasse NRW, des Städte- und Gemeindebundes NRW, der Polizei NRW, der Landesverkehrswacht NRW, der Verkehrsclubs wie ADAC, ADFC und VCD, der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW, des Verbandes des Kfz-Gewerbes NRW, verschiedener Verkehrsverbünde, Hochschulen usw.

Die FHöV-Absolventin bezeichnete Einschlafen und Müdigkeit am Steuer völlig zu Recht als einen in Deutschland noch immer etwas vernachlässigten Aspekt der Verkehrssicherheit. Schon das Sprichwort, wonach wer schläft, nicht sündigt, gilt keinesfalls für Verkehrsteilnehmer. Denn müde oder schläfrige Fahrer überschätzen oft ihre Leistungsfähigkeit, und sie können gleichzeitig die Fahrgeschwindigkeit und Reaktionsfähigkeit nicht mehr richtig taxieren. Zwar kennen viele Autofahrer das Problem: Besonders auf längeren Strecken oder über einen langen Zeitraum hinweg fordert das Führen eines Kraftfahrzeugs die ständige Aufmerksamkeit der Fahrenden. Deshalb bedeutet Schläfrigkeit eine enorme Gefahr für den Straßenverkehr.

Müdigkeit am Steuer ist nach Überzeugung der Referentin und vieler Verkehrswissenschaftler eine der häufigsten Ursachen schwerer Verkehrsunfälle. Doch nicht nur das ungewollte Einschlafen führt zu Unfällen, schon die Müdigkeit erhöht deutlich das Unfallrisiko, weil sie stets mit verminderter allgemeiner Leistungsfähigkeit einhergeht. Gerade lange, monotone Fahrten erzeugen oder vergrößern eine Müdigkeit, die sowohl gesunde Menschen als auch Patienten mit Schlafstörungen ergreifen kann.

Gleichwohl spielt dieses Problem in der Verkehrssicherheitsarbeit und der deutschen Verkehrspolitik bislang kaum eine angemessene Rolle. Nach der amtlichen Statistik wurde Müdigkeit am Steuer schließlich nur bei knapp 0,7 Prozent aller Verkehrsunfälle mit Personenschaden 2018 in Deutschland registriert. Und dies stellt kein Ausnahmeergebnis dar. Regelmäßig, Jahr für Jahr, liegt der statistisch erfasste Anteil dieser offenbar schwer nachweisbaren Unfallursache bei weniger als einem Prozent.

Nach jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die die FHöV-Absolventin in ihrer Thesis ausgewertet hat, ist Müdigkeit tatsächlich aber der Auslöser für 10 bis 20 Prozent der Verkehrsunfälle. Der sogenannte Sekundenschlaf stellt eine der gefährlichsten Unfallursachen dar, auf den nach Schätzungen von Verkehrsunfallforschern sogar wenigstens jeder vierte tödliche Unfall zurückgeht. Einschlafen am Steuer ist danach die häufigste Ursache schwerster Verkehrsunfälle insbesondere auf Autobahnen. Typische Einschlafunfälle sind das Abkommen von der Fahrbahn ohne Bremsspur oder das verkehrsbedingt nicht erklärbare Auffahren auf einen anderen Wagen, was viel zu häufig z. B. zu schwersten Lkw-Unfällen führt. Der Tod zahlloser Verkehrsteilnehmer und Milliardenschäden sind auf die Übermüdung der Fahrer von Lastkraftwagen, Bussen und Personenkraftwagen zurückzuführen. Auf eine Frage nach persönlichen themenbezogenen Erfahrungen wusste die Beamtin Jule Borgmann aus ihrer noch sehr jungen Polizeipraxis bereits von einem Unfall zu berichten, bei dem zu später Stunde ein Pkw-Fahrer nach absolvierter längerer Strecke offensichtlich infolge Sekundenschlaf in den Gegenverkehr geriet und dabei tödlich verletzt worden ist, und dies rund 600 Meter vor dem Erreichen seiner Wohnung.

Im Ergebnis bedeutet die in der Bachelorarbeit plausibel begründete Erkenntnis: Viele schwere Unfälle – nicht nur auf Autobahnen – wären vermeidbar, wenn die Fahrer wach und aufmerksam am Steuer säßen. Dazu gab die Beamtin zahlreiche konkrete Maßnahmenvorschläge. Nach der bundesweit in dieser Dekade festzustellenden Stagnation der erfolgreichen Verkehrssicherheitsarbeit würde eine wirksame Bekämpfung der Unfallursache Müdigkeit einen erheblichen Beitrag leisten können, endlich wieder Bewegung in eine positive Richtung zu geben. Schließlich soll es nach der von der EU-Kommission wie vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) verfolgten Strategie der „Vision Zero“ in Deutschland und auf Europas Straßen bis zum Jahr 2050 nahezu keine Verkehrstoten mehr geben.

Die wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung von Übermüdung im Straßenverkehr mittels Aufklärung der Verkehrsteilnehmer, zur Entwicklung verkehrstechnischer Maßnahmen sowie fahrzeugtechnischer Warnsysteme, beweissicherer Feststellung von Übermüdung und effektivere Kontrollen sollten daher intensiviert und gefördert werden. Frau Borgmann gelang es, den NRW-Arbeitskreis Verkehrssicherheit für die stärkere Berücksichtigung dieses Themas und die hoch relevante Analysewürdigkeit zu gewinnen, wie sich Übermüdung und Sekundenschlaf auf die Leistungsfähigkeit und Verkehrssicherheit auswirken, und inwieweit Fahrerassistenzsysteme das Unfallrisiko reduzieren können. Verkehrsreferatsleiter MR Ulrich Malburg bat den anwesenden Vertreter der FHöV NRW darum, die Auswertung herausragender Abschlussarbeiten, die einen Beitrag zur Verbreitung praxisrelevanten Fachwissens leisten, künftig weiterhin beim Ministerium zu fördern und zu unterstützen.