Historisches Fenster - November 201410./11. November 1999: Das neue „Steuerungs- und Führungssystem“ der Polizei NRW wird von Innenminister Dr. Fritz Behrens vorgestellt

10./11. November 1999: Das neue „Steuerungs- und Führungssystem“ der Polizei NRW wird von Innenminister Dr. Fritz Behrens vorgestellt

Prof. Dr. Heike Wüller, Forschungsgruppe BiBeLL

„Quo vadis, Polizei?“, fragte die „Streife“ in ihrer Märzausgabe des Jahres 1999. [2] Und Innenminister Dr. Fritz Behrens gab eine Antwort – verzögert zwar erst auf einer Tagung im Herbst, genauer am 10. und 11. November des Jahres, und dann auch erst einmal nur vor einem kleinen Kreis aus Behördenleitern, aber doch immerhin so, dass nun zum ersten Mal Begriffe, Ideen und Konzepte, die bis dahin eher in der Gerüchteküche gebrodelt hatten, systematisiert an eine größere Öffentlichkeit gelangten. Die „Modernisierungsstrategie“ der Organisation solle fortan aufgehen in einem neuen „Steuerungs- und Führungssystem“, ließ der Minister die Anwesenden wissen. Das bedeutete selbstredend nicht eine sofortige verbindliche Einführung konkreter Maßnahmen, vielmehr war es die Weiterführung eines längst begonnenen Prozesses, der sich aber ab diesem Zeitpunkt stärker als zuvor in Gestalt von Einzelmaßnahmen wie Gesetzen, Verordnungen, Erlassen und Dienstanweisungen zu materialisieren begann.

Spätestens seit 1996 war ein ähnlich klingender Begriff wie der des „Steuerungs- und Führungssystems“ – nämlich der des „Neuen Steuerungsmodells“ - in die Polizei NRW eingeführt worden. Gemeint war mit letzterem ein komplexer Reformprozess, der konkrete Einzelmaßnahmen wie „Dezentrale Ressourcenverantwortung“ [3] „Budgetierung“ [4], „Zielvereinbarung“ [5], „Outputsteuerung“ [6] und „Controlling“ [7] miteinander verknüpfte. [8] Der Terminus „Steuerungs- und Führungssystem“, den der Innenminister nun 1999 offiziell ins Spiel gebracht hatte, war dem übergeordnet und umfasste noch mehr: Das „Neue Steuerungsmodell“ war nur eines der vier Pakete, die es in diesem umfangreichen Modernisierungskonzept zu bearbeiten galt, daneben standen nun auch noch Personal- und Organisationsentwicklung sowie Qualitätsmanagement. Dabei umfasste die Organisationsentwicklung Veränderungsprozesse in Bezug auf die Aufbau- und Ablauforganisation, die technische Ausstattung und den Technikeinsatz der Polizei. Zum Bereich der Personalentwicklung gehörte die Auswahl und Förderung des Personals. Und das Qualitätsmanagement sollte unter anderem als Klammer zwischen den beschriebenen Bereichen dienen, um sie systematisch aufeinander abzustimmen.

Die Komplexität des Unterfangens vermittelt sich auch ohne die Vielzahl und für die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Organisation wohl eher gewöhnungsbedürftige Neuheit der verwendeten Termini und zahlreichen Anglizismen, aber diese machen zugleich doch auch besonders deutlich, wie dringend die Notwendigkeit für die polizeiliche Führungsebene war, die intendierten Konzepte und Prozesse, sollten sie mit Leben gefüllt und von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verstanden und verständig umgesetzt werden, ausführlich und geduldig zu erläutern. Das Innenministerium NRW gab zu diesem Zweck Anfang der 2000er Jahre ein Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“ heraus und versuchte auf diese Weise, die von den Modernisierungsmaßnahmen Betroffenen deutlich einzubeziehen. „Warum so viele Veränderungen?“ „Warum tut sich die Polizei Nordrhein-Westfalens den Reformprozess an?“, lauteten die einleitenden, offenbar die zweifelnde Unsicherheit, vielleicht sogar die hartnäckige Ungläubigkeit der Organisationsmitglieder antizipierenden Fragen in der Einleitung des Hefts. Die Antwort folgte auf dem Fuß: „Weil sie weiß, dass sie bei fast 50 000 Beschäftigten, 65 Behörden und Einrichtungen sowie einem Haushaltsvolumen von ca. 2,2 Milliarden €/ Jahr ein modernes Managementsystem dringend benötigt.“ Zudem: „Steigende fachliche Anforderungen an die polizeiliche Arbeit und hohe Erwartungen der Bürgerinnen/Bürger“ stünden begrenzte finanzielle Ressourcen gegenüber, weshalb die Polizei nun danach schauen müsse, „welche betriebswirtschaftlichen Instrumente sie sinnvoll einsetzen kann, ohne sie unkritisch zu übernehmen.“ [9] Mit dem „Steuerungs- und Führungssystem“ als der neuen Managementkonzeption der Polizei NRW sei nun ein „ganzheitlicher Ansatz“ gewählt, in dem „effektive Polizeiarbeit“, „Bürger-/Kundenzufriedenheit“, „Mitarbeiterzufriedenheit“ und „Wirtschaftlichkeit“ als zentrale und gleichrangig in ihrer Bedeutung nebeneinander stehende Organisationsziele verknüpft würden. [10]

Die Idee zum „Steuerungs- und Führungssystem“ war nicht aus dem Nichts entstanden, Bestrebungen von Politik und Polizeiführung, die nordrhein-westfälische Polizei umfassend zu reformieren und zu „modernisieren“, gab es weit länger. Forderungen etwa vor allem nach Veränderungen des inneren Organisationsaufbaus der Polizei waren schon Ende der 1980er Jahre immer lauter geworden. Hier ging es vor allem darum, „interne Reibungsverluste und Doppelarbeit sowie durch Spartendenken in den Abteilungen ‚Schutzpolizei‘ und ‚Kriminalpolizei‘ hervorgerufene Konkurrenzsituationen“ abzubauen. [11] Die Neuorganisation der Kreispolizeibehörden war die Folge: Durch Organisationserlass vom 9. März 1992 wurde der innere Behördenaufbau der Kreispolizeibehörden grundlegend verändert und ein neues Zwei-Abteilungs-Modell eingeführt [12] mit jeweils einer Abteilung „Verwaltung/Logistik“ und einer Abteilung „Gefahrenabwehr/Strafverfolgung“. „Durch Integration der Schutz- und Kriminalpolizei und insbesondere aufgrund einer dezentralen/regionalen Bearbeitung der leichten und mittleren Kriminalität sollten [auf diese Weise, H.W.] die zuvor erkannten Schwachstellen der Altorganisation behoben werden.“ [13]

Ging es um die Gründe für die interne Neuausrichtung der „Steuerung, Führung, Zusammenarbeit und Aufgabenwahrnehmung im täglichen Polizeidienst“ [14], waren in der Diskussion, wie schon erwähnt, stereotyp vor allem modifizierte Rahmenbedingungen für das polizeiliche Handeln ins Feld geführt worden, allem voran zumeist veränderte Bürger- und Mitarbeitererwartungen auf der einen sowie begrenzte (finanzielle) Ressourcen auf der anderen Seite. [15] Der Weg von Einzelmaßnahmen über das umfassendere Konzept des „Neuen Steuerungsmodells“ bis hin zum „Steuerungs- und Führungssystem“ führte über mehrere Zwischenstationen. [16] So hatte etwa 1991 – nach Auftragserteilung durch den amtierenden Innenminister Dr. Herbert Schnoor im Jahr 1988 – die Unternehmensberatung Kienbaum das Gutachten „Funktionsbewertung der Schutzpolizei“ [17] vorgelegt. Ausgangsfrage hier war die nach der angemessenen Höhe der Bezahlung von Schutzpolizisten gewesen. Schnoor hatte dazu einen auf gesicherten Fakten beruhenden Bericht verlangt, um die Diskussion zu Ende führen und entsprechend konzeptionell fundiert und zukunftsgerichtet Entscheidungen treffen zu können. 1994 dann veröffentlichte das nordrhein-westfälische Innenministerium eine Denkschrift mit dem Titel „Polizei im Wandel“ [18], in der das Ministerium öffentlich machte, dass es eine umfassende Reform der Polizei in NRW geben solle, die die bisher überlegten, diskutierten und geplanten Einzelmaßnahmen systematisch zusammenführen würde. 1995 folgte ein weiteres Gutachten der Unternehmensberatung Kienbaum („Kienbaum II“), diesmal zum Thema „Aufgabenkritische Untersuchung polizeilicher Tätigkeiten im Lande NRW“. [19] Gegenstand dieser Untersuchung waren „Effektivität“ und „Effizienz“ des Personaleinsatzes in den Polizeibehörden, weil steigenden Einsatzbelastungen jetzt zugleich stagnierende Einstellungszahlen gegenüberstanden. Schließlich war 1996 durch innenministerielle Anordnung eine Projektgruppe unter Leitung des ehemaligen Inspekteurs der Polizei NRW Heinz Stork mit Beteiligung von leitenden Polizeibeamten und Vertretern des Innenministeriums sowie Professor Gerd Wiendeck von der Fernuniversität Hagen gebildet worden. Aufgabe der Projektgruppe war, „ein Gesamtkonzept zur Steigerung der Leistungsfähigkeit sowie zur Erhöhung der Berufszufriedenheit in der Polizei“ zu entwickeln. [20] 1998 veröffentlichte sie ihren Bericht unter dem Titel „Personal-/Organisationsentwicklung und Führung der Polizei NRW“ [21]. Die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen erfolgte offenbar aber nur zögerlich, die politische Führung der Polizei schien mit den Vorschlägen nicht ganz einverstanden. [22]

Auch was die Einführung der Maßnahmen im Fall des „Steuerungs- und Führungssystems“ betrifft, verlief die Realisierung nicht ohne Probleme. Hier war die Gemengelage noch komplizierter. Die Implementierung der meisten Bausteine der Konzeption war 2003 weitgehend abgeschlossen, allerdings haperte es an der Akzeptanz in den Behörden. Manfred Reuter, selbst Polizist, analysiert in seiner politikwissenschaftlichen Dissertation die „mehr oder weniger starken Verzögerungen, Veränderungen oder Vereitelungen“ [23], die wesentlichen konzeptionellen und prozessualen Hemmnisse für die Implementierung des Steuerungs- und Führungssystems ausführlich. Er kommt zu dem Ergebnis: Die betriebswirtschaftliche Steuerungslogik, die den Konzepten zugrunde gelegt worden war, sei mit der „politischen Steuerungslogik der bürokratischen Polizeiorganisation nicht kompatibel“ [24]. Bei der „Outputsteuerung“ seien die Produktbegriffe auf größte Ablehnung bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gestoßen, polizeiliche Arbeit sei eben in Produkten „schwer messbar.“ [25] Fraglich erscheine es insgesamt, ob eine umfassende Steuerung in diesem Typ von „Eingriffsverwaltung“ überhaupt möglich ist, für die polizeiliche Praxis jedenfalls seien die erarbeiteten Konzepte weitgehend „untauglich“. Zudem, so konstatiert Reuter, stehe die polizeiliche und politische Führung unter einem hohen „Rationalisierungsdruck“, Effizienzaspekte gerieten als Organisationsziele stark in den Vordergrund, die Kassenlage entscheide, nicht die tatsächlichen Notwendigkeiten. Das „starre Dienst- und Haushaltsrecht“ wirke sich zusätzlich hemmend aus.

Aber eben auch dies: Wesentliche Definitionen des Steuerungs- und Führungssystems seien unscharf formuliert gewesen und insofern unklar und beliebig geblieben. Das spielte zugleich individuellen bzw. kollektiven Blockierern in der Organisation in die Hände, denen gleichermaßen das Verständnis für die intendierten Maßnahmen und das Wollen zur Umsetzung der Reformen in der Organisation fehlte: „So beispielsweise, wenn sie Verantwortung für etwas tragen sollen, das sie nur bedingt beeinflussen können, oder die individuelle quantitative/qualitative Belastung als zu hoch empfunden wird, oder der Sinn einer Maßnahme nicht einsehbar ist, die Maßnahme zu theoretisch erscheint, oder der praktische Nutzen daraus für sie nicht erkennbar wird.“ [26] Nicht wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter also hatten sich offenbar überrollt gefühlt, ihnen erschien der Reformprozess als ein ‚Diktat von oben‘. Dass ihr konstruktives Engagement konstitutiver Bestandteil der Gesamtkonzeption war, hatte sich ihnen nicht richtig vermittelt. Vielleicht lag es daran: „Das komplizierte und umfassende StFS ist […] wohl nur von Insidern durchschaubar.“ [27]

Literatur

Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“. Steuerung, Führung, Zusammenarbeit und Aufgabenwahrnehmung im täglichen Polizeidienst.
Düsseldorf o. J.

Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Polizei im Wandel. Düsseldorf 1994.

Kienbaum Unternehmensberatung GmbH: Funktionsbewertung der Schutzpolizei. Düsseldorf 1991.

Kienbaum Unternehmensberatung GmbH: Aufgabenkritische Untersuchung polizeilicher Tätigkeit im Lande NRW. Düsseldorf 1995.

Projektgruppe Stork et al.: Personal-/Organisationsentwicklung und Führung in der Polizei NRW. Bericht der Projektgruppe. Düsseldorf 1998.

Reuter, Manfred: Modernisierung der Landesverwaltung. Eine Implementationsstudie am Beispiel der Polizei in Nordrhein-Westfalen (NRW). Politikwissenschaftliche Dissertation, Fernuniversität Hagen 2007 (pdf).

Scheu, Udo, u.a.: Neuordnung von Polizeiführung und Polizeiverwaltung in NRW. Bericht der Kommission. Düsseldorf 2004.

Konzeption: Forschungsgruppe BiBeLL der FHöV NRW
Text: Heike Wüller; Gestaltung: Martina Eckert

[1] Quelle: Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“, o.J., CD-ROM, PPP-Folie 6

[2] Die Streife 3/1999, S. 15.

[3] Laut Glossar des Arbeitsheftes „Steuerung und Führung Polizei NRW“ handelt es sich dabei um die „Zusammenfassung der Fach- und Ressourcenverantwortung auf der möglichst untersten Ebene ‚in einer Hand‘“. (Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“. Steuerung, Führung, Zusammenarbeit und Aufgabenwahrnehmung im täglichen Polizeidienst. Düsseldorf o. J., S. 84).

[4] Das Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“, S. 84, definiert „Budgetierung“ als „Zuweisung von Finanzrahmen zur Erfüllung getroffener Leistungsabsprachen.“ Im Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“, S. 90, heißt es zum Begriff Zielvereinbarung: „Zwischen den behördlichen Instanzen […], zwischen Organisationseinheiten […] oder zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern besprochene, verhandelte und letztlich vereinbarte Sollzustände.“

[5] „Outputsteuerung“ definiert das Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“, S. 87, als „an Leistungsergebnissen und deren Wirkungen ausgerichtete Steuerung.“

[6] Laut Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“, S. 84, versteht man unter „Controlling“ ein „Instrument zur Steuerung und Versorgung mit Steuerungs- und Führungsinformationen.“

[7] Reuter, Manfred: Modernisierung der Landesverwaltung. Eine Implementationsstudie am Beispiel der Polizei in Nordrhein-Westfalen (NRW). Politikwissenschaftliche Dissertation, Fernuniversität Hagen 2007, S. 39.

[8] Vgl. dazu: Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 44

[9] Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“, S. 3.

[10] Arbeitsheft „Steuerung und Führung Polizei NRW“, S. 22 und 24.

[11] Scheu, Udo, u.a.: Neuordnung von Polizeiführung und Polizeiverwaltung in NRW. Bericht der Kommission. Düsseldorf 2004, S. 21.

[12] Scheu, u.a., Neuordnung von Polizeiführung und Polizeiverwaltung in NRW, S. 25.

[13] Scheu, u.a., Neuordnung von Polizeiführung und Polizeiverwaltung in NRW, S. 22.

[14] So der Untertitel des Arbeitsheftes „Steuerung und Führung Polizei NRW“.

[15] Vgl. dazu: Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 37.

[16] Zum Folgenden vgl.: Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 38-39.

[17] Kienbaum Unternehmensberatung GmbH: Funktionsbewertung der Schutzpolizei. Düsseldorf 1991.

[18] Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Polizei im Wandel. Düsseldorf 1994.

[19] Kienbaum Unternehmensberatung GmbH: Aufgabenkritische Untersuchung polizeilicher Tätigkeit im Lande NRW. Düsseldorf 1995.

[20] Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 39.

[21] Projektgruppe Stork et al.: Personal-/Organisationsentwicklung und Führung in der Polizei NRW. Bericht der Projektgruppe. Düsseldorf 1998.

[22] Vgl. dazu: Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 39.

[23] Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 53.

[24] Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 222.

[25] Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 178.

[26] Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 223.

[27] Reuter, Modernisierung der Landesverwaltung, S. 177.